Tunesien macht erste Schritte in die Freiheit
Neun Monate nach dem Sturz des Diktators gibt es morgen die erste freie Wahl.
Tunis. Die Erwartungen an die Wahlen sind hoch, aber das Misstrauen im Volk ist geblieben: „Es ist schwierig, Vertrauen zu finden in einem Land, das Korruption, Brutalität und unzählige leere Versprechen erlebt hat.“ Der Optimismus, der sich nach der Revolution in Tunesien Mitte Januar breitgemacht habe, sei durch Skepsis abgelöst worden, sagt die tunesische Menschenrechtsanwältin, Intissar Kherigi.
Vor allem, weil sich an den Alltagsproblemen wenig geändert habe: Armut und Arbeitslosigkeit (offiziell knapp 20 Prozent) seien nach dem Absturz des Tourismusgeschäftes sogar noch schlimmer als zuvor.
Morgen findet in dem nordafrikanischen Land erstmals eine freie, demokratische Wahl statt, neun Monate, nachdem der langjährige Diktator Zine el-Abidine Ben Ali verjagt worden war. Ben Alis Vertreibung markierte den Beginn des „arabischen Frühlings“, dessen Funken nach Ägypten und Libyen übersprangen, wo dann die Despoten Husni Mubarak und Muammar al-Gaddafi gestürzt wurden.
Nun werden die Tunesier, in einem ersten demokratischen Schritt, eine verfassungsgebende Versammlung wählen, welche die Weichen für die Zukunft Tunesiens stellen soll. „Wir werden Demokratie und Modernität respektieren“, sagt Rachid Ghannouchi, Chef der islamischen Ennahda-Bewegung.
Seine Bewegung liegt in den Umfragen vorn, Ghannouchi gibt sich Mühe, Ängste vor einer islamistischen Bedrohung nach dem erwarten Sieg seiner Partei zu zerstreuen. „Wir sind gegen die Zwangseinführung des Kopftuches im Namen des Islam und wir sind gegen die Verbannung des Kopftuches im Namen des Säkularismus. “ Ennahda (Wiederweckung) sei eine „moderate islamische Bewegung“ und orientiere sich an der türkischen Regierungspartei AKP.
Zusammen mit Ennahda dürfte künftig auch die Demokratische Fortschrittspartei eine Rolle spielen, welche unter Ben Ali zur geduldeten Opposition gehörte. Ihr politischer Führer Nejib Chebbi versucht vor allem, als säkulares Gegengewicht zu Ennahda und ihrer „islamischen Ideologie“ Stimmen zu gewinnen. Er umwirbt auch den Westen.