Erdogan: Der starke Mann am Bosporus
Erdogan ist der klare Sieger der Wahl und sieht sich als Anführer der gesamten Region.
Istanbul. Dieser Mann hat noch was vor. Mit einer sich überschlagenden Stimme kündigt ein Einpeitscher den „großen Meister“ an. Als selbstbewusster Führer einer politischen Bewegung, die ihre Strahlkraft über die Grenzen der Türkei hinaus entfalten soll, tritt Recep Tayyip Erdogan nach seinem dritten Wahlsieg in Folge vor jubelnde und Fahnen schwenkende Anhänger.
Noch bevor Erdogan sich den Details der Innenpolitik zuwendet, grüßt er vom Balkon der Zentrale seiner islamisch-konservativen Partei AKP in Ankara die, „die ihre Augen auf die Türkei richten in Bagdad, Damaskus, Beirut, Kairo, Tunis, Sarajevo, Skopje, Baku, Nikosia und anderen Bruderstaaten“. Er sagt: „Heute hat die Hoffnung der Unterdrückten gewonnen. So wie Istanbul gewonnen hat, hat Sarajevo gewonnen. Beirut wie Izmir. Damaskus wie Ankara. Jerusalem und Gaza wie Diyarbakir. Heute haben der Kaukasus, Europa und Asien wie die Türkei gewonnen.“
Zwar liegt über der Freude Erdogans ein Schatten, denn seine Partei hat jede zweite Stimme bekommen, nicht aber die für eine Änderung der Verfassung im Alleingang nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament. Doch Erdogan tritt als strahlender Sieger vor das Volk. Als einziger Regierungschef der Türkei kann er nun drei Amtszeiten und dabei eine mit jeder Wahl wachsende Zustimmung des Volkes verbuchen.
Allerdings verfügt er insgesamt über weniger Mandate in dem 550 Sitze zählenden Parlament. Die AKP kommt auf rund 50 Prozent der Stimmen, was ihr Berechnungen zufolge 326 Mandate verschafft. Mit einer Mehrheit von 367 Abgeordneten hätte er dem Land praktisch im Alleingang eine neue Verfassung geben können.
Trotzdem könne man nicht übersehen, dass es wachsende Unterstützung für Erdogan gebe, meint die Tageszeitung „Hürriyet“. Der Politiker hat dem Land eine nicht gekannte politische Stabilität gebracht. Die Wirtschaft brummt und gibt den Hoffnungen einer neuen Mittelschicht auf wachsenden Wohlstand neue Nahrung. Erdogan verspricht dem Volk neue Wohnungen in Trabantenstädten am Rande der Metropole Istanbul. Er will neue Flughäfen und Straßen bauen lassen sowie einen Kanal, der das Schwarze Meer und das Marmarameer wie ein zweiter Bosporus verbinden soll.
Und die Türkei hat auch in der internationalen Politik gehörig Gewicht bekommen. International ist Erdogan dabei oft polternd aufgetreten. Immer selbstbewusster hat er auch Verbündete der Türkei in den USA und Europa — die Türkei bemüht sich um einen EU-Beitritt — vor den Kopf gestoßen. In den vergangenen Jahren hat die Regierung Erdogan die Kontakte zu Nachbarländern und regionalen Partnern ausgebaut. Die großen türkischen Bau- und Handelsunternehmen machen dort beste Geschäfte.