Ex-NSA-Mitarbeiter: Überwachung ist total

Berlin (dpa) - Der US-Geheimdienst NSA sammelt laut Insider-Aussagen vor dem Bundestag weltweit alle verfügbaren Daten zu Kontrollzwecken - und späht nach neuen Berichten weitere Deutsche aus.

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„Leider ist dieses Überwachungsregime zu einem System gewachsen, das die Welt abwürgt“, sagte der Ex-Mitarbeiter des US-Geheimdienstes, Thomas Drake, bei der ersten Zeugenbefragung des NSA-Untersuchungsausschusses am Donnerstagabend in Berlin.

Die US-Regierung übe eine ultimative Form der Kontrolle aus, sagte Drake in aufrüttelnden Worten. Quasi alle Daten, die Deutschland durchqueren, würden durch die NSA und den Bundesnachrichtendienst aufgegriffen - oder auch von der NSA allein. „Das Schweigen des BND ist schrecklich“, sagte Drake. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, was die NSA macht.“ Die Internetsicherheit weltweit werde geschwächt. Das Privatleben werde immer mehr zum Eigentum des Staats. „Jetzt kommen wir bald zu einem echten Überwachungsstaat in den Vereinigten Staaten.“

Zuvor hatte der frühere NSA-Mitarbeiter William Binney über rund fünf Stunden erläutert, dass die NSA die Kommunikationsdaten weltweit erfassen könne. Der Geheimdienst speichere sie auf Dauer. Niemand in Deutschland sei davor geschützt. „Das ist wirklich ein totalitärer Ansatz, den man bislang nur bei Diktatoren gesehen hat.“ Ziel sei die Kontrolle der Menschen. „Sie wollen Informationen über alles haben“, sagte der frühere NSA-Technik-Direktor. Binney schied 2001 nach über 30 Jahren aus der NSA aus, Drake war von 2001 bis 2008 dort angestellt.

Fatal sei die Entwicklung nach den Terroranschlägen von 2001 gewesen, nicht nur Daten von Gruppen unter Terror- oder Kriminalitätsverdacht zu sammeln. „Wir haben uns wegbewegt von der Sammlung dieser Daten hin zur Sammlung von Daten der sieben Milliarden Menschen unseres Planeten“, sagte Binney.

Nach Recherchen der Sender NDR und WDR spähte die NSA einen Studenten aus Erlangen aus, um über ihn an Nutzer eines Netzwerkes zu kommen, das vor Überwachung im Internet schützen soll. Er sei nach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das zweite namentlich bekannte Opfer der NSA in Deutschland. Der Betroffene, Sebastian Hahn, betreibe einen Server für das Anonymisierungsnetzwerk Tor. Dessen Nutzer landeten in einer speziellen NSA-Datenbank. Täglich griffen Hunderttausende Nutzer allein auf Hahns Server zu - auch viele Anwälte und Ärzte mit sensiblen Daten.

Hahn sagte der ARD: „Es ist ein Rieseneingriff in meine Privatsphäre.“ Er sei schockiert. Alle Verbindungen von seinem Server würden von dem Geheimdienst mitgeschnitten. Auch der Hackerverein Chaos Computer Club ist laut den Berichten Ziel gezielter Ausspähungen.

SPD-Obmann Christian Flisek forderte Generalbundesanwalt Harald Range zu Ermittlungen wegen massenhafter Datenüberwachung auf. Range solle handeln, „und zwar möglichst schnell“. Es gebe nun keinen Grund mehr, gegen die NSA nur wegen des Verdachts des Abhörens des Handys von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu ermitteln. Dies hatte Range im Juni angekündigt.

Vor einem Jahr war das massenhafte Abschöpfen auch deutscher Daten durch die National Security Agency (NSA) aufgeflogen. Der Untersuchungsausschuss arbeitet diese Aktionen auf und untersucht auch die Rolle deutscher Dienste. Binney sagte, er habe den Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden nicht mehr kennengelernt, der die weltweite Enthüllungswelle angestoßen hatte. Dessen Unterlagen habe er aber angesehen: „Das sind alles echte Dokumente.“

Flisek sagte, es habe sich gezeigt, „dass wir auch im deutsch-amerikanischen Verhältnis nicht darauf vertrauen können, dass irgendeine Rücksicht auf Belange deutscher Bürger oder deutscher Unternehmen genommen wird“. Linke-Obfrau Martina Renner sagte über die Ausspähungen: „Wir haben erfahren, dass es keine Chance gibt, dass Betroffene davon erfahren.“

Grünen-Innenexperte Hans-Christian Ströbele sagte: „Jetzt kann niemand mehr in Deutschland behaupten, dass die Dokumente aus dem Besitz von (Ex-NSA-Mitarbeiter) Edward Snowden falsch sind.“

Mehrere Ausschussmitglieder von Opposition und Koalition kritisierten die Bundesregierung dafür, dass zur Verfügung gestellte Akten in großen Teilen geschwärzt seien. Die Linke-Politikerin Renner drohte mit rechtlichen Schritten dagegen.