Isis-Milizen: Zerfall des Iraks schreitet voran
Bagdad/Erbil (dpa) - Mitten im politischen Chaos treiben die irakischen Kurden ihre Abspaltung und damit auch den Zerfall des Landes voran. Ihr Parlament will einen Termin für ein Referendum über die Unabhängigkeit ihrer Autonomieregion im Nordirak festlegen.
Der Irak sei „fertig“, sein Ministerpräsident Nuri al-Maliki gescheitert, sagte der Außenbeauftragte der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), Hemin Hawrami. Saudi-Arabien entsandte laut einem Medienbericht rund 30 000 Soldaten an die Grenze zum Nachbarland, um das Königreich vor Isis-Übergriffen zu schützen.
Die Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis) brachte zugleich im Osten Syriens weitere Gebiete unter Kontrolle, darunter ein wichtiges Ölfeld. Die Terrorgruppe beherrscht nun im Norden und Osten Syriens ein Gebiet, das von der türkischen bis zur irakischen Grenze reicht, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Zudem kontrollieren Isis-Milizen große Teile im Norden und Westen des Iraks.
Saudi-Arabien reagiere mit der Mobilisierung seiner Armee auf den Abzug irakischer Soldaten von der Grenze zu Saudi-Arabien und Syrien, berichtete der Nachrichtenkanal „Al-Arabija“. Eine offizielle Bestätigung aus Riad gab es dafür zunächst nicht. Die Grenze zwischen den beiden Ländern ist mehr als 800 Kilometer lang.
Der Schwestersender „Al-Hadath“ hatte am Mittwochabend ein Video veröffentlicht, das angeblich irakische Soldaten zeigt, die sich von der Grenze zu Syrien und Saudi-Arabien zurückgezogen haben. Demnach sollen insgesamt 2500 irakische Militärangehörige die Grenzgebiete verlassen haben. Das irakische Militär wies den Bericht jedoch zurück. Entsprechende Meldungen seien eine Lüge, sagte ein Sprecher.
Der Präsident der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, Massud Barsani, bat das Parlament in Erbil am Donnerstag um die Vorbereitung eines Referendums über die Unabhängigkeit. Die Abgeordneten würden auch eine Wahlkommission einberufen, sagte der KDP-Außenbeauftragte Hawrami. Nach dem Isis-Vormarsch gebe es im Irak eine neue Realität. Er rechnete damit, dass das Referendum „bald“ stattfinden kann.
Hawrami zufolge soll es auch in der ölreichen Region um die Stadt Kirkuk abgehalten werden, die außerhalb der kurdischen Autonomieregion liegt, jedoch von den Kurden beansprucht wird. Peschmerga-Kämpfer hatten die Schwäche der irakischen Armee nach dem Isis-Vormarsch genutzt und Kirkuk im vergangenen Monat besetzt.
In Syrien übernahmen Isis-Milizen laut den syrischen Menschenrechtsbeobachtern in der Nähe des Ortes Dair as-Saur auch das wichtige Ölfeld Al-Omar kampflos von der dschihadistischen Al-Nusra-Front. Das syrische Gebiet unter Isis-Herrschaft sei nun fünfmal so groß wie das Nachbarland Libanon. Demnach erstreckt sich die Isis-Kontrolle mit wenigen Ausnahmen von dem Ort Abu Kamal an der Grenze zum Irak bis an die nordöstlichen Ränder der Stadt Aleppo.
Al-Omar ist eines der größten syrischen Ölfelder. Die Al-Nusra-Front, ein Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida, und andere islamistische Milizen hatten es im November 2013 in Kämpfen mit der syrischen Armee erobert. Die syrische Regierung verlor damals die Kontrolle über eine ihrer wichtigsten Energie- und Einnahmequellen. Die ebenfalls dschihadistische Al-Nusra-Front steht in Konkurrenz zu Isis.
Die Isis hatte vergangenen Sonntag ein islamisches Kalifat in den beiden Ländern ausgerufen. Zugleich benannte sich die Gruppe in „Islamischer Staat“ um. Ihr erklärtes Ziel ist der Marsch auf Bagdad.
Der saudische König Abdullah und US-Präsident Barack Obama riefen die führenden Politiker des Iraks laut Weißem Haus auf, eine neue Regierung zu bilden, die alle Gruppen des Landes vereine. Der schiitische Ministerpräsident Al-Maliki möchte im Amt bleiben. Schiitische, sunnitische und kurdische Politiker fordern jedoch seinen Rückzug.
Isis ließ unterdessen 32 im Irak entführte türkische Lastwagenfahrer nach mehr als drei Wochen Geiselhaft frei. Die Männer seien vom türkischen Generalkonsul in Erbil in Empfang genommen worden, sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu. Sie seien bei guter Gesundheit. Die Regierung bemühe sich weiter um die Freilassung von 49 Türken, die am 11. Juni bei der Erstürmung des türkischen Konsulats in Mossul von Isis-Kämpfern gefangen genommen wurden. Darunter ist auch der türkische Generalkonsul.