Experte warnt vor Bürgerkrieg in Afghanistan
Kabul/Washington (dpa) - Der für 2014 geplante Abzug der meisten ausländischen Truppen aus Afghanistan birgt nach Ansicht des Experten Thomas Ruttig erhebliche Gefahren für das Land: „Ich halte einen Bürgerkrieg für ein Szenario, das wahrscheinlich ist“.
Das sagte der Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN) in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa in Kabul. Auch die Führung der US-Streitkräfte äußerte sich skeptisch zu den Plänen von Präsident Barack Obama, bereits bis Mitte kommenden Jahres ein Drittel der amerikanischen Soldaten aus dem Land am Hindukusch zurückzuziehen.
„Die Entscheidungen des Präsidenten sind energischer und rufen mehr Risiken hervor, als ich anfangs bereit war zu akzeptieren“, sagte US-Generalstabchef, Admiral Mike Mullen, am Donnerstag vor einem Kongressausschuss in Washington. Der Oberkommandierende der Afghanistan-Truppen, General David Petraeus, nannte Obamas Zeitplan einen „entschlosseneren Ansatz, als wir ihn empfohlen hätten“.
Außenministerin Hillary Clinton verteidigte Obamas Entscheidung. Sie sei nach „sehr vorsichtiger Überlegung und Begutachtung“ getroffen worden, sagte sie in der Kongressanhörung. „Er ist nun auf dem richtigen Weg, unser Engagement in Afghanistan zu beschließen.“
Afghanistan-Experte Ruttig hält dagegen die Ankündigung der Nato, alle Kampftruppen bis 2014 abzuziehen, für einen Fehler. Dahinter verberge sich „nur eine innenpolitische Logik in den westlichen Staaten“. Die Annahme, bis 2014 seien Institutionen wie Polizei, Armee oder das Parlament ausreichend stabil, sei zu optimistisch.
Zudem gehe in der afghanischen Bevölkerung die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg um, wie er bereits nach dem Abzug der Sowjettruppen und dem Sturz des von Moskau gestützten Regimes 1992 ausbrach.
„Es gibt diesen Machbarkeitswahn, wir schaffen das alles schon“, sagte Ruttig. „Wie will man in weniger als vier Jahren nachholen, was in zehn zum Teil viel ruhigeren Jahren nicht geschafft wurde?“ In den kommenden Jahren werde man mit Taliban zu tun haben, die auch durch zusätzliche Truppen kaum geschwächt wurden. „So schnell werden Gespräche oder Verhandlungen mit ihnen nicht greifen, auch wenn versucht wird, diesen Eindruck zu vermitteln.“
Die afghanischen Sicherheitskräfte sollen nach einem Beschluss der Nato Ende 2014 im ganzen Land das Kommando von den internationalen Truppen übernehmen. Ab Juli werden die Afghanen in den ersten sieben Städten und Provinzen die Verantwortung für die Sicherheit tragen.