Gauck nennt Massaker an Armeniern erstmals Völkermord

Berlin (dpa) - Bundespräsident Joachim Gauck hat die Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Ersten Weltkrieg erstmals klar als Völkermord bezeichnet.

Foto: dpa

Das Staatsoberhaupt setzte sich damit über Bedenken hinweg, dass die Einordnung des damaligen Geschehens als Völkermord die Beziehungen zur Türkei beschädigen könnte. Zugleich räumte Gauck am Donnerstag bei einem Gedenkgottesdienst im Berliner Dom deutsche Mitverantwortung für den Genozid ein. Am Freitag will der Bundestag eine Erklärung zu dem Massenmord auf den Weg bringen.

Auch die christlichen Kirchen erinnerten an die deutsche Mitverantwortung für die Gräueltaten an den Armeniern ein. Im Ersten Weltkrieg waren Armenier im Osmanischen Reich als vermeintliche Kollaborateure mit dem Feind systematisch vertrieben und umgebracht worden. Nach Schätzungen kamen zwischen 200 000 und 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs lehnt die Bezeichnung Völkermord vehement ab.

Wegen des Streits um die Wortwahl hatte es in den vergangenen Tagen zwischen Bundesregierung, Koalitionsparteien und Präsidialamt einiges Hin und Her gegeben. Die Bundesregierung wollte den Begriff vermeiden. In einem Gedenkgottesdienst im Berlin benutzte Gauck nun nahezu wortgleich die Formulierung, auf die man sich schließlich für die Erklärung im Bundestag geeinigt hatte.

Der Bundespräsident sagte: „Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist.“ Gauck ergänzte: „In diesem Fall müssen auch wir Deutsche insgesamt uns noch einmal der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung - unter Umständen gar eine Mitschuld - am Völkermord an den Armeniern geht.“ Er betonte: „Besonders freue ich mich über jedes ermutigende Zeichen der Verständigung und des Aufeinanderzugehens zwischen Türken und Armeniern.“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, räumte eine deutsche Mitschuld an den Massakern ein: „Nur wenn wir diese eigene Mitschuld deutlich und klar aussprechen und anerkennen, können wir auch die Türkei dazu ermutigen, sich aufrichtig und objektiv mit dem Verbrechen des Genozids auseinanderzusetzen.“ Das moralische Versagen habe damals bis auf wenige Ausnahmen auch die evangelische Kirche betroffen.

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sagte, es sei wichtig, „den Schrecken beim Namen zu nennen und so einen Weg zu beschreiten, den Schrecken zu bannen und Wege des Neuanfangs und der Versöhnung zu gehen“.

Der Bundestag wollte am Freitag erstmals über die geplante Erklärung beraten. Der Opposition aus Grünen und Linkspartei geht der Text nicht weit genug. Grünen-Chef Cem Özdemir warf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor, übertrieben Rücksicht auf die Türkei zu nehmen.

In Armeniens Hauptstadt Eriwan soll am Freitag mit einer großen Gedenkfeier an die Massaker erinnert werden. Aus dem Ausland werden unter anderem Russlands Präsident Wladimir Putin und Frankreichs Präsident François Hollande erwartet.