Gehen oder bleiben? Unabhängigkeitsreferendum spaltet Schottland

Aberdeen (dpa) - Glaubt man der Kampagne für ein unabhängiges Schottland, dann sind Studenten und Senioren, Gewerkschafter und Wirtschaftsbosse sowie Einwanderer und Alteingesessene allesamt überzeugt, dass das Volk im September für die Unabhängigkeit stimmen soll.

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„Wir machen jetzt schon Wahlkampf wie wenige Wochen vor der Bundestagswahl in Deutschland“, sagt Angus Robertson, Kopf hinter der „Yes“-Kampagne und Fraktionschef der schottischen Nationalpartei (SNP) im britischen Unterhaus.

Glaubt man hingegen der Kampagne „Better together“ (Besser zusammen), dann kämpfen Menschen aus allen Alters- und Gesellschaftsgruppen dafür, dass Schottland Teil des Vereinigten Königreichs bleibt. „Wir werden alles tun, um die Zweifelnden zu überzeugen, dass wir als Teil des Königreichs stärker und besser sind“, sagte Kampagnenleiter Alistair Darling vergangene Woche mal wieder.

In Aberdeen, Schottlands drittgrößter Stadt, ist fünf Monate vor dem Referendum keine Spur eines Wahlkampfs zu sehen. Keine Plakate an Straßenlaternen, niemand verteilt Flyer. Am Tresen im Pub reden die Leute lieber über Fußball. Man muss lange suchen, um nur ein einziges Auto mit „Yes Scotland“-Aufkleber zu finden.

Die Frage „Gehen oder bleiben?“ treibt das Land dennoch um, das zeigt ein Blick in die Kioske. Täglich diskutieren die Zeitungen Folgen eines „Yes“- oder „No“-Votums am 18. September - je nach Ausrichtung des Blatts ist wichtiger, ob die Queen weiterhin der Schotten Königin bliebe oder ob die Gewinne aus dem Nordsee-Öl tatsächlich dem Land zufielen. Die etablierten Medien stehen weitgehend auf Seite der Unionisten. In sozialen Netzwerken und Blogs dominiert die „Yes“-Seite.

Etwa 15 Prozent der Schotten haben sich noch nicht entschieden, besagen jüngste Umfragen. Das Rentnerpaar von den abgelegenen Shetlandinseln, das zum Arztbesuch nach Aberdeen gekommen ist, gehört nicht dazu: „Gemeinsam sind wir stärker.“ Mehr wollen sie dazu nicht sagen. Damit vertreten sie die Ansicht der Mehrheit, auch wenn die Unabhängigkeitsbewegung deutlich zugelegt hat in den vergangenen Monaten.

John Duffy sieht das anders. Er ist Geschäftsführer der Feuerwehr-Gewerkschaft in Schottland und als ihr Sprecher offiziell neutral. Persönlich hofft Duffy auf ein „Ja“ im September. Westminster kürze die Ausgaben für den öffentlichen Dienst, die Kollegen fürchteten um ihre Pensionen.

Traditionell stehen die Gewerkschaften der Labour-Partei nahe. Und die ist, in Schottland wie in London, auf Seite der Unionisten. Immer mehr Mitglieder seien aber überzeugt, sie stünden in einem unabhängigen Schottland besser da, sagt Duffy. Er ist Mitglied der SNP, der treibenden Kraft hinter der Unabhängigkeitsbewegung.

„Die SNP verspricht so viel, aber wie wollen sie das alles einhalten? Wo sollen die Jobs herkommen?“, fragt dagegen wütend ein Mann aus der Nähe von St. Andrews, einem Ort an der Ostküste. Er ist sich sicher: „Quer durch die Parteien gibt es das Gefühl, dass die Unabhängigkeit keine gute Idee ist.“ Seinen Namen will er nicht nennen, er kämpft als Lobbyist gegen die Energiepolitik der Regierung. Die Stimmung im Land sei furchtbar. „Die Leute haben Angst zu sagen, dass sie im Königreich bleiben wollen.“

Darauf angesprochen, räumt Schottlands Vize-Regierungschefin Nicola Sturgeon (SNP) ein: Ja, es gebe intolerante Debatten - „aber auf beiden Seiten“. Der Blogger und Kolumnist Gary Marshall, der mit einem „Yes“-Sticker auf der Heckscheibe herumfährt, berichtet sogar von Warnungen: „Pass auf, dass sie dir nicht die Scheibe einschlagen.“ Es geht um viel für Schottland. In den kommenden Wochen und Monaten dürfte der Ton sich weiter verschärfen.