Gemeinsames Gedenken an den Beginn des Ersten Wekltkriegs
Lüttich/Löwen (dpa) - Mit einem Aufruf zum Frieden haben Staats- und Regierungschefs aus Europa im belgischen Lüttich an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gedacht.
Bundespräsident Joachim Gauck mahnte bei der Gedenkfeier, aus der Geschichte erwachse eine gemeinsame Verantwortung für die Welt. „Wir können nicht gleichgültig bleiben, wenn Menschenrechte missachtet werden, wenn Gewalt angedroht oder ausgeübt wird.“ Gauck forderte: „Wir müssen aktiv eintreten für Freiheit und Recht, für Aufklärung und Toleranz, für Gerechtigkeit und Humanität.“ Wie schon am Vortag in Frankreich würdigte er die europäische Integration: „Statt des Rechts des Stärkeren gilt heute in Europa die Stärke des Rechts.“
Am 4. August 1914 hatten deutsche Truppen das neutrale Belgien angegriffen. Die Belgier leisteten heftigen Widerstand; deutsche Soldaten gingen mit großer Brutalität vor.
Einige Redner gingen bei der Zeremonie auf aktuelle Konflikte ein. Frankreichs Präsident François Hollande nannte die Ukraine, den Irak, Syrien und den Gaza-Streifen. Europa müsse „eine Botschaft des Friedens“ aussenden. „Wir können nicht einfach Hüter des Friedens sein (...), wir können nicht einfach den Erinnerungskult hochhalten, sondern wir haben Verantwortung“, sagte Hollande. Die größte Gefahr gehe von einem Rückfall in nationale Egoismen, Separatismus und Ausländerfeindlichkeit aus.
Bundespräsident Gauck verurteilte Gewalt, Bürgerkriege und Terror. Auch er spielte auf aktuelle Konflikte an: „Wieder wird in einer Region das Völkerrecht missachtet, in anderen Regionen der Welt das Kriegsrecht, oder unverhältnismäßige Gewalt wird in Konflikten eingesetzt.“
Belgiens König Philippe sagte: „Ein friedliches Europa, ein vereintes Europa, ein demokratisches Europa - davon haben unsere Großeltern geträumt. Wir haben es heute.“ Er rief dazu auf, dies „in Ehren zu halten und zu vervollkommnen.“ Belgiens Ministerpräsident Elio Di Rupo zeigte sich besorgt angesichts der „zunehmenden Spannungen im Herzen Europas“ und erwähnte die Zugewinne rechtsextremer und anti-europäischer Parteien bei den Europawahlen.
Der britische Prinz William lobte die Tapferkeit der Belgier bei der Verteidigung ihres Landes im Ersten Weltkrieg, die den Alliierten Zeit verschafft habe: „Eure großen Opfer und Euer Beitrag zu einem möglichen Sieg waren entscheidend.“ William kam in Begleitung seiner Frau Kate.
An der Feier in Lüttich nahmen Gäste aus 80 Ländern teil. Belgiens Königspaar Philippe und Mathilde begrüßte die hochkarätigen Gäste. Gauck saß während der Gedenkstunde zwischen dem belgischen König und König Felipe von Spanien. Der Bundespräsident und andere Gäste steckten an der Gedenkstätte eine weiße Rose in einen Kranz. Überall in der Stadt konnten die Menschen die Zeremonie auf Großbildschirmen verfolgen.
Gauck erinnerte an die deutschen Verbrechen im Ersten Weltkrieg. „Der Nationalismus hat beinahe alle Herzen und Hirne verblendet“, sagte er. Es sei auch heute noch beschämend, dass in Deutschland Intellektuelle und Kulturschaffende gerechtfertigt hätten, wie deutsche Truppen Kulturstätten zerstört hätten. Symbol dafür sei die Vernichtung der weltberühmten Bibliothek der Stadt Löwen mit unersetzlichen Büchern und Handschriften. Am Nachmittag besuchte Gauck auch den im Ersten Weltkrieg fast vollständig zerstörten Ort in Flandern. Der deutsche Überfall auf das neutrale Belgien sei „großes Unrecht“ gewesen, sagte Gauck laut vorab verbreitetem Redemanuskript.
Die Verwüstung Löwens im Ersten Weltkrieg durch deutsche Truppen dauerte vom 25. bis zum 28. August 1914. Über 1000 Häuser brannten nieder, hunderte Zivilisten kamen ums Leben. Im Versailler Vertrag wurde Deutschland nach Kriegsende dazu verpflichtet, die vernichteten Bestände der Bibliothek zu ersetzen.
Auf Einladung des britischen Premierministers David Cameron nahm der Bundespräsident am Abend an einer Feier auf dem deutsch-britischen Soldatenfriedhof St. Symphorien bei Mons teil. Am 4. August 1914 hatte Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg erklärt.
Im schottischen Glasgow nahmen der britische Prinz Charles sowie Vertreter der Commonwealth-Länder an einem feierlichen Gottesdienst zum Jahrestag des Kriegsbeginns teil.