Globale Sanktionen gegen Libyen
Tripolis/New York/Berlin (dpa) - Die Welt vereint gegen Muammar al-Gaddafi: Nach den USA haben auch die UN Sanktionen gegen das Regime des libyschen Machthabers erlassen - und die EU will folgen.
Erstmals wandte sich die internationale Staatengemeinschaft wegen der blutigen Gewalt gegen Zivilisten in Libyen geschlossen an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel forderten den sofortigen Rückzug Gaddafis. Die USA erwägen notfalls auch militärische Aktionen gegen sein Regime. Gaddafi will nach eigenen Angaben eher sterben als Tripolis verlassen. Die Opposition bildete eine „Gegenregierung“ mit Vertretern aus allen Teilen des nordafrikanischen Staates. Ausländer verlassen weiter zu Tausenden das Land.
In Tunesien trat Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi nach erneuten blutigen Krawallen zurück. Er zog damit die Konsequenzen aus den anhaltenden Protesten gegen ihn. Bei schweren Straßenkämpfen am Wochenende hatte es mindestens drei Tote gegeben. Im Golf-Sultanat Oman wurden bei einem Polizeieinsatz gegen Demonstranten zwei Menschen getötet. Etwa 2000 Demonstranten hatten politische Reformen gefordert.
Zwölf Tage nach Beginn der Unruhen in Libyen ist Staatschef Gaddafi die Herrschaft über das eigene Land weitgehend entglitten. Seine Gegner nahmen am Sonntag sowohl die drittgrößte Stadt Misurata als auch die nur 50 Kilometer westlich der Hauptstadt Tripolis gelegene Schlüsselstadt Al-Sawija ein. Der Gaddafi-Clan herrsche damit nur noch in einigen Stadtvierteln in Tripolis sowie Sirte, der Heimatstadt des 68-Jährigen, berichtete der arabische Fernsehsender Al-Dschasira unter Berufung auf Augenzeugen. In der Hauptstadt, wo sich der Gaddafi-Clan nach 42-jähriger Herrschaft im Militärkomplex Bab al-Asisija verschanzt hat, herrschte gespannte Ruhe.
Der selbst ernannte Revolutionsführer Gaddafi denkt nach Informationen von Al-Dschasira nicht an Aufgabe oder Exil. Er wolle eher sterben als Tripolis verlassen, berichtete der Sender unter Berufung auf engste Familienkreise. Nach Einschätzung der arabischen Tageszeitung „Asharq al-Awsat“ schlägt Gaddafi seine letzte Schlacht. Der Militärkomplex, in dem er sich aufhält, werde mit Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und Raketenwerfern geschützt. Loyale Kämpfer hätten das Gebiet weiträumig abgeriegelt und alle Zufahrten gesperrt.
Unterdessen bildete die Opposition eine Übergangsregierung, wie der arabische Fernsehsender Al-Arabija berichtete. Zuvor habe sich der ehemalige Justizminister Mustafa Abdul Dschalil mit Stammesführern geeinigt. Über den Kurzmitteilungsdienst Twitter ließ Dschalil verbreiten, dass die Übergangsregierung für drei Monate im Amt bleiben solle. Danach werde sie durch eine gewählte Regierung ersetzt. Ihren Sitz habe sie in der zweitgrößten libyschen Stadt Bengasi, die eine Hochburg der Demokratiebewegung ist.
Der Weltsicherheitsrat verhängte ein umfassendes Waffenembargo und Reiseverbote, Konten und andere Vermögen sollen eingefroren werden. Betroffen von den Strafmaßnahmen sind Gaddafi, vier seiner Söhne, eine Tochter und zehn enge Vertraute. Oppositionelle schätzen das Vermögen der Familie des libyschen Staatschefs auf 80 bis 150 Milliarden US-Dollar (58 bis 109 Milliarden Euro).
Überraschend einigte sich das 15-Länder-Gremium auch darauf, den Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) in Den Haag einzuschalten. Die für Kriegsverbrechen, Menschenrechtsvergehen und Völkermord zuständige Instanz wurde vom Sicherheitsrat ermächtigt, gegen die libysche Führungsriege zu ermitteln.
In seiner einstimmig verabschiedeten Resolution wirft das höchste Entscheidungsgremium der Vereinten Nationen der Führungsriege in Libyen „schwere und systematische Verstöße gegen die Menschenrechte“ vor, darunter Gewalt gegen friedliche Demonstranten. Die EU-Staaten hatten sich am Freitag prinzipiell auf eine Reihe von Sanktionen geeinigt, wollten diese jedoch erst Anfang dieser Woche formal beschließen.
Der einstimmige Beschluss des Sicherheitsrates sei „ein starkes Signal an Oberst Gaddafi und andere Despoten, dass Menschenrechtsverletzungen nicht ungesühnt bleiben“, erklärte Merkel. Die Einstimmigkeit zeige, dass die internationale Staatengemeinschaft geschlossen sei „in der Verurteilung der Schandtaten Gaddafis“.
Die „Washington Post“ berichtete, die von US-Präsident Obama verhängten finanziellen Sanktionen seien nur der erste einer Reihe von Schritten gewesen, „die eine militärische Option beinhalten könnten“. Dazu zähle das Durchsetzen einer Flugverbotszone über Libyen, um eine Bombardierung von Gegnern Gaddafis aus der Luft zu verhindern.
Obama habe bereits die US-Geheimdienste angewiesen, Spionagesatelliten und andere Überwachungseinrichtungen auf Libyen auszurichten, meldete die „Washington Post“ weiter. „Die Botschaft an Gaddafi lautet: „Wir beobachten dich“, sagte ein Regierungsbeamter.
Auch Deutschland schließt angesichts der geplanten Sanktionen gegen die Führung in Libyen weitere Aktionen wie eine Flugverbotszone über dem Land nicht aus. „Das hängt natürlich auch damit zusammen, wie sich jetzt die Lage weiter entwickelt“, sagte Außenminister Guido Westerwelle am Sonntag in Berlin.
Nach Angaben Westerwelles sind noch rund 100 Deutsche in Libyen, etwa die Hälfte in Tripolis und die andere Hälfte im Landesinneren. Westerwelle rief sie dazu auf, das Land schnellstens zu verlassen. Zwei Transall-Flugzeuge der Bundeswehr hatten am Samstag 132 Menschen unterschiedlicher Nationalität aus Libyen ausgeflogen. An Bord waren nach Angaben des Außenministeriums auch Dutzende Deutsche und andere EU-Bürger.