Herkulesaufgabe für Hollande
Der neue Präsident hat wenig Spielräume, um seine Wahlversprechen in handfeste Politik umzusetzen.
Paris. Die Männer der Pariser Stadtreinigung rücken an diesem Montag schon im Morgengrauen in Kompaniestärke an. Die „Bastille“, Schauplatz der ausgelassenen Siegesfeier der Linken, will wieder auf Hochglanz gebracht werden.
Auch der Wahlsieger krempelt früh die Ärmel hoch. François Hollande, Frankreichs neuer Präsident, muss sich auf die Amtsübergabe am 15. Mai vorbereiten. In die Freude über den historischen Sieg mischt sich die bedrückende Gewissheit, dass eine Herkulesaufgabe auf ihn zukommt: die Aufrichtung der angeschlagenen „Grande Nation“.
„François Hollande hat kaum Spielräume, um seine ehrgeizigen Wahlversprechen in die Tat umzusetzen“, sagt der Politikprofessor René Lassere, der an der Universität Nanterre das Deutschland-Institut Cirac leitet.
Der Wissenschaftler hält den künftigen Staatschef jedoch für einen „pragmatischen Kopf“ und ist davon überzeugt, dass dieser trotz aller Widerstände auf den in Brüssel verabredeten Sparkurs zurückfinden wird. „Ein Wachstum auf Pump ist keine Lösung für Frankreich“, sagt Lasserre.
Dass dem fulminanten Siegesrausch die schnelle Ernüchterung folgen würde, hat sich seit langem abgezeichnet. Frankreich, die zweitgrößte Volkswirtschaft in Europa, zehrt von seiner Substanz.
Zehn Prozent Arbeitslosigkeit, wachsende Staatsschulden und eine schwindende Wettbewerbsfähigkeit bei dramatisch steigendem Außenhandelsdefizit drohen die Wirtschaftsmacht in ein neues Sorgenkind zu verwandeln. In eines, das andere Länder ansteckt.
Wie der sozialistische Präsident angesichts dieser widrigen Rahmenbedingungen seine angekündigten Wohltaten (zwei Prozent mehr Mindestlohn, 60 000 neue Lehrerstellen, Rente mit 60 etc.) unters Volk bringen will, bleibt also ein Rätsel.
Europa blickt gebannt nach Paris. Schwarzseher warnen, dass die von Hollande geforderte Neuverhandlung des EU-Fiskalpaktes das ganze Vereinigungswerk samt Euro gefährlich ins Wanken bringen könnte. Für Optimisten hingegen zeichnet sich längst ein Kompromiss-Pfad an — insbesondere in dem seit Monaten schwelenden Fiskalpakt-Streit zwischen Angela Merkel und François Hollande.
„Er ist ein zuverlässiger Partner und wird einem Kompromiss nicht im Wege stehen“, prophezeit Politikprofessor Lasserre. So ist denkbar, dass Hollande auf dem EU-Gipfel Ende Juni in Brüssel seinen Sparwillen bekundet, gleichzeitig könnte im Gegenzug die von ihm geforderte Wachstumsinitiative gezündet werden.
Erste Signale, die die Kanzlerin in Richtung Hollande aussendet, stoßen in Paris auf positive Resonanz. François Hollande werde in Berlin mit offenen Armen empfangen, betont Angela Merkel am Montag. Ihre Einladung ins Kanzleramt — voraussichtlich am 15. Mai — werde er gerne annehmen, erwidert der künftige Staatschef. Schon am Sonntagabend haben beide telefoniert.
Für Wirtschaftsexperten steht fest: Frankreich kommt um eine strukturelle Modernisierung seines Sozial- und Wirtschaftssystems nicht herum. Neben einer Energiewende und einer Reform der Beruflichen Bildung braucht das Land ebenso eine bessere Innovationsförderung.
François Hollande muss sich aber nicht nur an der EU-Front bewähren, sondern auch daheim. Schon in drei Wochen werden die 45 Millionen Franzosen erneut an die Urnen gerufen, diesmal um eine neue Nationalversammlung zu wählen. Dort hat zurzeit noch die konservative Präsidentenpartei UMP das Sagen.
Doch Hollande braucht unbedingt eine linke Mehrheit, um komfortabel regieren zu können. Ein Linksruck in Frankreich ist sehr wahrscheinlich. Aber Hollande steht vor einem Dilemma: Unpopuläre Sparmaßnahmen könnten linke Wähler vergraulen und die anschwellende rote Woge schnell verebben lassen. Hollande braucht eine gewisse Schonzeit, findet René Lassere.