Hollandes Sozialisten erringen absolute Mehrheit
Paris (dpa) - Der politische Linksrutsch in Frankreich ist perfekt: François Hollande wird als erster sozialistischer Staatschef mit Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments regieren können.
Sechs Wochen nach dem Erfolg bei der Präsidentenwahl ging seine Parti Socialiste (PS) am Sonntag auch als große Siegerin aus den Wahlen zur Nationalversammlung hervor. Nach übereinstimmenden Hochrechnungen vom Sonntagabend holte sie klar die absolute Mehrheit der Abgeordnetensitze in der ersten Parlamentskammer.
Hollande kann damit seine linken Reformpläne ungehindert durchsetzen. Dazu gehört unter anderem eine umfassende Steuerreform, bei der Spitzenverdiener und Finanzinstitute deutlich stärker belastet werden sollen. Im Ringen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) um den richtigen Weg aus der Euro-Krise wird Hollande ohne innenpolitische Kompromisse den französischen Kurs vorgeben können.
Im Gegensatz zur Regierungskoalition in Berlin hält der 57-Jährige auch schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme für ein gutes Mittel im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Rezessionssorgen. Am Wahlsonntag wurde bekannt, dass er insgesamt rund 120 Milliarden Euro als Wachstumsspritze für Europas Wirtschaft fordert.
Im Senat, der zweiten Parlamentskammer, hat die französische Linke bereits seit dem Vorjahr die Mehrheit. PS-Parteichefin Martine Aubry interpretierte den Wahlsieg am Abend als klaren Auftrag zum Bruch mit der Politik von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. „Die Franzosen haben die Forderung nach Wandel noch einmal verstärkt“, sagte sie.
Nach Hochrechnungen wird Hollandes PS mit direkten Verbündeten in der neuen Nationalversammlung auf 308 bis 320 Mandate kommen. Die französische Schwesterpartei der deutschen SPD wäre damit nicht einmal auf die Unterstützung der Grünen angewiesen. Diese wurden bei 20 Sitzen gesehen und würden damit die erhoffte Fraktionsstärke erreichen.
Ein Wermutstropfen für die PS war die Niederlage der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin und Spitzenpolitikerin Ségolène Royal. Sie verlor in ihrem Wahlkreis gegen Partei-Dissident Olivier Falorni. Er war zum Entsetzen vieler Genossen von Hollandes Lebensgefährtin Valérie Trierweiler öffentlich unterstützt worden. Royal sprach von „politischem Verrat“ und nannte ihren Gegenkandidaten einen „Mann der Rechten“. Auch ihr langjähriger Weggefährte und Ex-Kulturminister Jack Lang unterlag in seinem Wahlkreis.
Die Union für eine Volksbewegung (UMP) des am 6. Mai abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy stürzte erdrutschartig ab und wird den Prognosen zufolge erstmals seit 2002 wieder auf der Oppositionsbank Platz nehmen müssen. Direkte Verbündete eingeschlossen wird die konservativ-rechte Partei nur noch bei 221 bis 231 Sitzen gesehen. Auch der Zentrumspolitiker François Bayrou musste seine Niederlage eingestehen.
Die rechtsextreme Front National (FN) wird dagegen erstmals seit 1998 wieder im Parlament vertreten sein. Sie werde jedoch trotz eines zweistelligen Prozentergebnisses auf Landesebene nur bis zu vier Abgeordnete stellen, prognostizierten Wahlforscher. Hintergrund ist das Mehrheitswahlrecht. Es regelt, dass pro Wahlkreis nur der Kandidat mit den meisten Stimmen ein Mandat erhält. Kleine Parteien ohne Bündnispartner werden dadurch stark benachteiligt.
FN-Parteichefin Marine Le Pen musste eine knappe Niederlage einstecken. Sie verlor in ihrem Wahlkreis mit 49,89 Prozent der Stimmen gegen den sozialistischen Gegenkandidaten, der auf 50,11 Prozent kam. Ihre 22 Jahre alte Nichte Marion Maréchal-Le Pen wird dagegen Frankreichs jüngste Parlamentarierin. Marine Le Pen nannte den Einzug der FN in die Nationalversammlung einen enormen Erfolg.
Hollande hat bereits eine Reform des Wahlrechts angekündigt, das für die große Wahlmüdigkeit mit verantwortlich gemacht wird. Die Wahlbeteiligung lag Hochrechnungen zufolge nur bei 56 Prozent und damit etwa 24 Prozentpunkte unter dem Wert bei der Präsidentenwahl am 6. Mai.
Etwas mehr als einen Monat nach der Präsidentenwahl waren bei den Wahlen zur Nationalversammlung rund 46 Millionen Franzosen dazu aufgerufen, die 577 Sitze der ersten Parlamentskammer neu zu vergeben. Nach den zwei Runden der Präsidentenwahl Ende April/Anfang Mai und dem ersten Parlamentswahl-Durchgang vor einer Woche war es bereits die vierte Abstimmung innerhalb von weniger als zwei Monaten.