Isis nimmt weitere Städte im Irak ein
Bagdad/Washington (dpa) - Die islamistische Isis-Miliz vertreibt die irakische Armee aus Städten im Grenzgebiet zu Syrien und Jordanien. US-Außenminister Kerry sucht bei einem Besuch in der Region nach Mittel und Wegen, den Vormarsch der Terroristen zu stoppen.
Die islamistische Isis-Miliz baut ihre Machtposition im Westirak weiter aus. Sie brachte am Wochenende nach Berichten irakischer Medien mehrere Ortschaften im Grenzgebiet zu Syrien und Jordanien unter ihre Kontrolle. US-Außenminister John Kerry traf am Sonntag zu Gesprächen über die Irak-Krise zunächst in Ägypten ein, am Abend reiste er nach Jordanien weiter.
Augenzeugen berichteten am Sonntag, dass die Kämpfer der extremistischen Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis) einen Großteil der Ortschaft Haditha - 260 Kilometer westlich von Bagdad - unter ihre Kontrolle gebracht hätten.
In der Region steht ein Euphrat-Staudamm mit einem strategisch wichtigen Wasserkraftwerk. Zuvor hatten die sunnitischen Extremisten die Ortschaften Ana, Raua und Al-Kaim im Grenzgebiet zu Syrien erobert, die ebenfalls am Euphrat liegen.
Irakische Medien berichteten ferner über das Vordringen radikal-islamischer Kämpfer auf einen irakisch-syrischen Grenzposten weiter südlich, nahe der Ortschaft Al-Walid. Die meisten Sicherheitskräfte hätten sich daraufhin entfernt. Eine Bestätigung von unabhängiger oder offizieller Seite gab es zunächst nicht.
Das Nachbarland Jordanien mobilisierte nach dem Vorrücken der Isis-Terroristen die Streitkräfte an seiner Grenze. Das Königreich habe „Dutzende“ Verbände entlang der Grenze aufgeboten, verlautete aus Militärkreisen in Amman. Berichten zufolge sollen Isis-Kämpfer die Stadt Rutba auf der Straße von Bagdad nach Amman und einen strategisch wichtigen Grenzübergang nach Jordanien eingenommen haben.
Bei Gesprächen in Nahost und Europa will US-Außenminister Kerry über Wege beraten, den Vormarsch der sunnitischen Kämpfer zu stoppen. Kerry traf zunächst in Ägypten ein, wo er mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi zusammenkommen wollte. Nach einem Stopp in Jordanien sollte es dann zu einem Treffen mit Nato-Außenministern nach Brüssel sowie zu Konsultationen in Paris gehen.
Die Außenminister der 28 EU-Staaten beraten am Montag in Luxemburg über die Lage im Irak. Sie wollen die Gewalt der Islamisten verurteilen und eine Regierung fordern, in der Sunniten und Schiiten gleichermaßen vertreten sind. „Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme sind begrenzt“, sagte ein Diplomat.
Die USA hatten angekündigt, das irakische Militär im Kampf gegen die Terrormiliz zu unterstützen. Washington setzt dabei unter anderem auf einen möglichst kurzen Einsatz der rund 300 Soldaten, die als Militärberater in den Irak geschickt werden sollen.
Von der syrischen Provinz Rakka aus waren die Isis-Kämpfer vor einigen Monaten ins westirakische Anbar gekommen. In der Stadt Falludscha setzten sie sich im Januar fest, eroberten Waffendepots der irakischen Armee und hielten Angriffen der Regierungstruppen stand. Vor eineinhalb Wochen nahmen sie die Millionenstadt Mossul ein und zogen dann rasch weiter in Richtung Bagdad. Inzwischen haben die Islamisten große Landstriche im Norden und Westen des Iraks unter ihrer Kontrolle.
Am Samstag demonstrierten als Reaktion auf den Vormarsch Tausende Schiiten bei militärischen Paraden ihre Macht. Wie Bewohner von Bagdad berichteten, marschierten allein in der Hauptstadt mehrere tausend Anhänger des radikalen Schiitenpredigers Muktada al-Sadr auf.
Nach Angaben der Regierung haben sich inzwischen mehr als 2,5 Millionen Schiiten freiwillig zum Kampf gegen Isis gemeldet. Iraks Ministerpräsident Nuri al-Maliki ordnete an, dass sie dafür monatlich umgerechnet rund 330 Euro bekommen sowie Verpflegungszulagen.
Die Feindschaft zwischen den muslimischen Glaubensrichtungen der Sunniten und Schiiten hat im Irak eine lange Tradition. Ex-Diktator Saddam Hussein, ein Sunnit, hatte die schiitische Mehrheit im Land diskriminiert. Nach seinem Sturz 2003 verloren die sunnitischen Stämme Macht und Einfluss. Nach dem US-Abzug 2011 entbrannte der Machtkampf aufs Neue. Die von Schiiten dominierte Regierung unter Nuri al-Maliki hält Sunniten seit Jahren von allen wichtigen politischen Posten im Irak fern.
Sunnitische Terrorgruppen wie Isis kämpfen gegen Schiiten, die sie als „Abweichler“ von der wahren Lehre des Islams ansehen. Die Isis-Kämpfer verbreiten derzeit Angst und Schrecken in der Region. Hunderttausende sind auf der Flucht. Im benachbarten Syrien sieht die Lage wegen des dort tobenden Bürgerkrieges ähnlich aus.
Die Bundesregierung hatte in den vergangenen beiden Jahren für Flüchtlingshilfe in der Region mehr als 500 Millionen Euro eingesetzt. Nun soll diese Hilfe verstärkt werden. „Angesichts der aktuellen Dramatik will ich in der kommenden Woche im Rahmen der Haushaltsberatungen die Sondermaßnahmen für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak verstärken - und dafür voraussichtlich weitere 50 Millionen Euro bereitstellen“, kündigte Entwicklungsminister Müller in der „Welt am Sonntag“ an.