Israels Mittelschicht straft Netanjahu ab
Der Ministerpräsident will nach der Wahlschlappe eine breite Koalition bilden.
Tel Aviv. Die größten Erfolge bei der Israel-Wahl haben die Politneulinge erzielt: Die Partei Jesh Atid des früheren Fernsehjournalisten Jair Lapid kam bei der Parlamentswahl in Israel mit 19 Sitzen auf Platz zwei, der ultrarechte Selfmade-Millionär Naftali Bennett (Das jüdische Haus) landete auf Platz vier.
„Beide haben einen unzufriedenen Mittelstand angesprochen, der nicht mehr an die traditionellen Politiker glaubt“, sagt der israelische Historiker Tom Segev. Netanjahu könnte nach seiner Einschätzung mit beiden zusammenarbeiten. Eventuell auch noch mit der früheren Außenministerin Zipi Livni und ihrer Hatnuna-Partei.
Die israelische Mittelschicht fordere an Werten orientierte Politiker und die gerechte Verteilung der Lasten — vor allem der Wehrpflicht — auch auf die strengreligiösen Juden, analysiert Dan Avnon von der Hebräischen Universität. Auch der ultrarechte Bennett habe vor allem junge Wähler angelockt. Lapid habe mit der Frage gepunktet: „Wo ist das Geld? Wo sind die Steuergelder, wohin geht das Geld?“.
Nach Segevs Worten kommen viele von Lapids Wählern aus der Bewegung der Sozialproteste, die im Sommer 2011 Hunderttausende aus Ärger über horrende Mieten und zu hohe Lebenshaltungskosten auf die Straße brachte. Von einem Linksruck könne man allerdings nicht sprechen.
Benjamin Netanjahu kündigte noch am Wahlabend an, er wolle sich um eine möglichst breite Koalition bemühen, ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass er diese Koalition führen müsse.
Laut Historiker Segev steht in Israel kein politischer Umschwung an. Er erwarte im Grund dieselbe Politik wie bisher. Die Neuilinge Jair Lapid und Naftali Bennett seien relativ unpolitisch. „Zum eigentlich wichtigsten Thema, der Zukunft des Friedensprozesses mit den Palästinensern, hat er kaum etwas gesagt“, kritisiert der Historiker etwa Bennet.
Demagogisch nannte er Lapids Forderung, dass alle Ultra-Orthodoxen zur Armee eingezogen werden sollten: „Jeder weiß, dass das nicht geht und sie dort auch nicht gebraucht werden.“