„Mobilmachung“ vor der Wahl Kämpferischer CHP-Kandidat tritt gegen Erdogan an

Ankara (dpa) - Mit einer Kampfansage an Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat die größte Oppositionspartei CHP ihren langjährigen Abgeordneten Muharrem Ince für die Präsidentenwahl in der Türkei nominiert.

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„Als Euer Präsidentschaftskandidat verkünde ich eine 51-tägige Mobilmachung“, sagte Ince in Ankara mit Blick auf die verbliebene Zeit bis zur Wahl am 24. Juni.

„Lang lebe die Freiheit, lang lebe die Demokratie, lang lebe die Republik, lang lebe Atatürk.“ Der 54-jährige versprach, im Falle seiner Wahl ein unparteiischer Präsident aller Menschen in der Türkei zu sein.

Beim Nominierungsparteitag kritisierte der frühere Physiklehrer den Zustand des Landes, das seit mehr als 15 Jahren mit zunehmend harter Hand von Erdogan regiert wird. „Unsere Jugend, unsere schlauen Kinder verlassen das Land“, sagte er. „Das Land wird mit Lügen regiert.“ Erdogan verglich die CHP-Gesinnung kurz darauf mit „Verschmutzung“ und kündigte an, die Wahlen würden ein „Fest der Demokratie“.

Ince ist nicht der einzige Kandidat, der gegen Erdogan antreten wird: Gesetzt sind auch die Chefin der nationalkonservativen Iyi-Partei, Meral Aksener, und der inhaftierte Ex-Vorsitzende der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtas. Ince und Aksener haben die besten Chancen, bei einer möglichen Stichwahl im Juli gegen Erdogan anzutreten. Aksener gratulierte Ince zur Nominierung.

Ince betonte: „Wir werden nicht darauf achten, ob jemand Kopftuch trägt oder nicht. Wir werden uns nicht darum kümmern, ob jemand Miniröcke trägt. Uns wird nicht interessieren, ob jemand Kurde oder Türke ist oder welche Konfession er hat.“ In einem symbolischen Akt nahm Ince sein Parteiabzeichen vom Revers und ließ sich stattdessen vom CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu einen Anstecker mit der türkischen Flagge anheften. „Ein Präsident muss parteilos sein, parteilos!“, rief Ince. „Ich werde der Präsident von 80 Millionen sein.“

Damit spielte Ince auf Erdogan an, der die Trennung von Partei und Präsidentenamt im vergangenen Jahr aufheben und sich dann wieder zum Chef der islamisch-konservativen AKP wählen ließ. Diese Neuregelung war Teil des vor gut einem Jahr mit knapper Mehrheit per Verfassungsreferendum beschlossenen Umbaus zum Präsidialsystem.

Der Umbau soll mit der zeitgleichen Parlaments- und Präsidentenwahl am 24. Juni abgeschlossen sein. Der künftige Präsident wird dann Staats- und Regierungschef und mit deutlich mehr Macht ausgestattet sein. Die Opposition warnt vor einer Ein-Mann-Herrschaft Erdogans.

Kilicdaroglu warf Erdogan vor, mit Verhängung des Ausnahmezustands am 20. Juli 2016 in Folge des Umsturzversuches aus Teilen des Militärs einen weiteren Putsch begangen zu haben. „In der Türkei ist nach dem Putsch vom 20. Juli keiner mehr sicher“, sagte er. Mit Blick auf Erdogan fügte Kilicdaroglu hinzu: „Die Legislative, die Exekutive und die Justiz sind gebunden an eine einzige Autorität.“

Dem Ex-Beamten Kilicdaroglu würden nicht einmal wohlmeinende Beobachter bescheinigen, ein charismatischer Wahlkämpfer zu sein. Ince gelang es dagegen, Tausende Anhänger beim Nominierungsparteitag in Ankara zu begeistern. Der Kandidat sprach auch ein Reizthema an, von dem er wusste, dass es einen Nerv bei Erdogan-Kritikern treffen würde: den Präsidentenpalast mit mehr als 1150 Zimmern, den Erdogan bauen ließ und der aus Sicht der Opposition sinnbildlich für dessen Machtanspruch steht. Ince versprach: „Den Palast übergebe ich den schlauesten Kindern dieses Landes. Ich mache ihn zur Bildungsstätte.“

Dass Erdogan in dem gerade eröffneten Wahlkampf zurückschlagen wird, steht außer Frage. Favorit ist Erdogan immer noch mit weitem Abstand. Nach einer aktuellen Umfrage muss er aber befürchten, sein Ziel zu verfehlen, bereits in der ersten Wahlrunde eine absolute Mehrheit zu erzielen. Bei der dann fälligen Stichwahl am 8. Juli könnten sich die Gegner Erdogans hinter dem Herausforderer versammeln.

Erdogans Chancen gedämpft hätte eine Kandidatur des Ex-Präsidenten Abdullah Gül - der aber hatte vergangene Woche verkündet, nicht ins Rennen zu gehen. Am Freitag bestätigte er, dass er kurz vor der Entscheidung vom Militärchef Hulusi Akar besucht wurde. Das sei aber keineswegs als Bedrohung zu verstehen gewesen, versicherte Gül.