Kanzler-Rücktritt mischt politische Karten in Österreich neu
Wien (dpa) - Österreichs Bundeskanzler und SPÖ-Parteichef Werner Faymann ist nach innerparteilicher Kritik überraschend von allen Ämtern zurückgetreten und hat damit den Weg für einen Neuanfang freigemacht.
Dieses Land brauche einen Bundeskanzler, hinter dem die Partei stehe, sagte Faymann.
„Die Regierung braucht einen Neustart mit Kraft. Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten.“ Auslöser des Schritts war das SPÖ-Wahldebakel bei der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl. Dort hatte der Kandidat der Sozialdemokraten mit 11,3 Prozent die Stichwahl klar verpasst.
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) übernahm interimistisch die Regierungsgeschäfte. Als mögliche Kandidaten an der Spitze der Regierung werden in der SPÖ der Bahn-Manager Christian Kern (50) und der Medien-Manager Gerhard Zeiler (60) genannt. Auch der Name der ehemaligen Siemens-Managerin Brigitte Ederer (60) fällt in diesem Zusammenhang. Die SPÖ will am 25. Juni bei einem Bundesparteitag die personellen Weichen für die Zukunft stellen. Bereits Mitte Mai will der Parteivorstand einen Vorschlag machen. Beide Ämter sollen laut Interims-Parteichef Michael Häupl nicht getrennt werden.
Ob der Kanzler-Rücktritt auch vorzeitige Neuwahlen bedeutet, blieb zunächst unklar. Es sei nicht der Zeitpunkt, jetzt darüber zu spekulieren, meinte Mitterlehner. Einen neuen Kurs in der restriktiven Flüchtlingspolitik schloss Mitterlehner aus. Die SPÖ warnte vor einer Neuwahl-Diskussion. Falls der Koalitionspartner ÖVP einen solchen Schritt erwäge, gelte es, vorbereitet zu sein. „Ich würde es ihnen nicht raten, wir können sie aber nicht hindern“, meinte Häupl. Die rechte FPÖ hofft auf Neuwahlen. Ihr Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, Norbert Hofer, hat bei der Stichwahl am 22. Mai sehr gute Chancen, in die Hofburg einzuziehen.
Die rot-schwarze Koalition, die seit 2013 regiert, steht seit langem massiv unter Druck. Die Umfragewerte für die SPÖ und die mitregierende konservative Volkspartei ÖVP sind seit Monaten im Sinkflug. Zuletzt wiesen Umfragen die rechtspopulistische FPÖ deutlich als stärkste Partei aus.
Der Rücktritt von Faymann macht im Prinzip nun den Weg frei für eine Koalition von SPÖ und FPÖ auch auf Bundesebene. Faymann hatte dies stets ausgeschlossen. Die Gewerkschaften hatten diesen Kurs zuletzt sehr deutlich infrage gestellt. Die SPÖ verliert unter den Arbeitern stark an die FPÖ. Im Burgenland kooperieren beide Parteien bereits seit vergangenem Jahr.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache meinte, Faymanns Rücktritt löse nicht das grundsätzliche Problem der SPÖ. Es sei eher
gleichgültig, wer als Kanzler und SPÖ-Chef folge. „Eine Neudekoration der Auslage ändert nichts am mangelhaften Sortiment.“
Der Schwenk der SPÖ hin zu einer restriktiveren Flüchtlings- und Asylpolitik war in der Partei höchst umstritten. Faymann verteidigte erneut das Ende der „Willkommens-Kultur“ und den Kurswechsel des Landes. „Es wäre verantwortungslos gewesen, nicht auch eigene Maßnahmen zu setzen.“ Der 56-Jährige zog eine positive Bilanz seiner fast achtjährigen Kanzlerschaft. Österreich habe nach der schwierigen Phase der Finanzkrise im vergangenen Jahr den massiven Flüchtlingsandrang zu bewältigen gehabt und diesen gut gemeistert.
Neben den Folgen der Flüchtlingskrise fürchten viele Österreicher auch einen wirtschaftlichen Niedergang. Angst vor Armut und Arbeitslosigkeit treibt viele Wähler zur FPÖ. Erst vor wenigen Tagen hatte sich die Regierung einen „Neustart“ verordnet. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik sollten neue Impulse den Bürgern wieder mehr Zuversicht geben.
Sich selbst sah der seit 2008 regierende Kanzler offenkundig nicht mehr als den Mann, der diese Ziele hätte umsetzen können. Dennoch wagte er am Montag einen optimistischen Blick in die Zukunft: „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das Land stark genug ist, die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu bewältigen.“
Faymann hatte sich nach abgebrochenem Jurastudium als junger Sozialdemokrat über die Instanzen an die Parteispitze gedient und 2008 den SPÖ-Vorsitz übernommen. Er gilt nicht als Visionär, sondern verfolgt eher einen pragmatischen Politikansatz. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll einmal über den stets zurückhaltend auftretenden Wiener gelästert haben, er komme bei EU-Verhandlungen in Brüssel ohne Meinung herein und gehe mit ihrer wieder hinaus.