Karsai reißt der Geduldsfaden
Nach etlichen Skandalen will der Präsident die Isaf-Truppen bereits 2013 heimschicken.
Kabul. Nach dem Massaker eines US-Soldaten an Zivilisten flammt die Debatte über den Afghanistan-Abzug wieder auf. Die drei größten Truppensteller — USA, Großbritannien und Deutschland — bemühten sich, dem Eindruck entgegenzuwirken, sie würden ihre Soldaten vor dem geplanten Termin 2014 abziehen. Nun wirbelt überraschenderweise Präsident Hamid Karsai den Zeitplan durcheinander. Er will, dass die Isaf-Truppen sein Land bereits 2013 verlassen. Ein gefährliches Unterfangen.
Aus einer Mitteilung Karsais nach einem Treffen mit US-Verteidigungsminister Leon Panetta in Kabul ist deutlich herauszulesen, dass dem Präsidenten der Geduldsfaden reißt. Seit Monaten jagt bei den Truppen am Hindukusch ein Skandal den nächsten, und immer wieder stehen die Amerikaner im Mittelpunkt: Ein „Kill Team“ aus Soldaten, das wahllos Zivilisten tötet und deren Leichen verstümmelt; US-Marines, die auf Taliban-Leichen urinieren; Koranverbrennungen auf einer amerikanischen Basis.
Und nun der Amokschütze, der kaltblütig 16 Menschen ermordet. „Vorfälle wie Kandahar haben die Beziehung zwischen Afghanistan und den USA seit Jahren beschädigt“--, kritisierte Karsai nach dem Gespräch mit Panetta. Und damit soll jetzt endgültig Schluss sein.
Karsai fordert den Rückzug aller ausländischen Soldaten aus den afghanischen Dörfern. Sie sollen sich in ihren Basen verschanzen — wohl, weil sie dort aus Sicht Karsais kein Unheil anrichten können. Und der Regierungschef verlangt erneut, dass kein Ausländer mehr in ein afghanisches Haus eindringen darf. Damit startet Karsai einen weiteren Angriff auf die verhassten Nachtoperationen der Internationalen Truppe, die die Nato-geführte Isaf allerdings für eine ihrer schärfsten Waffen im Kampf gegen die Taliban hält.
Glaubt man Karsai, wäre ein Abzug 2013 kein großes Problem. Er verkündet, die afghanischen Sicherheitskräfte seien schon jetzt bereit dazu, die Sicherheit im ganzen Land zu garantieren.
Vertreter der Internationalen Gemeinschaft rätseln, was Karsai zu der plötzlichen Abzugsforderung getrieben habe. Kritiker spekulieren schon länger, er habe den Bezug zur Realität verloren — denn ohne die Ausländer, besonders die Amerikaner, wäre seine Regierung nicht überlebensfähig.
Dementsprechend äußerte sich Washington am Donnerstag zu Karsais Plan. Die USA wollen wie geplant erst 2014 vollständig abziehen. Das sei der Plan von Präsident Barack Obama, „und daran wird sich gehalten“, sagte Obamas Sprecher Jay Carney.