Kiew will Referendum über Einheit

Kiew/Berlin (dpa) - Mit einer Volksabstimmung über die Einheit der Ukraine will die prowestliche Regierung die Lage in dem krisengeschüttelten Land beruhigen. Gut zwei Monate nach der Machtübernahme räumte die Führung aber ein, die Kontrolle über Teile des russisch geprägten Ostens verloren zu haben.

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Moskautreue Milizen brachten am Mittwoch weitere Verwaltungsgebäude in ihre Hand. Zugleich dämpften die Separatisten Hoffnungen auf eine unmittelbar bevorstehende Freilassung der festgehaltenen westlichen Militärbeobachter. Unter den seit Freitag in der Stadt Slawjansk festgehaltenen Geiseln sind vier Deutsche - drei Bundeswehrangehörige und ein Dolmetscher.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte die sofortige Freilassung der Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Deutschland bemühe sich „auf allen diplomatischen Kanälen“ um eine Lösung, sagte Merkel nach einem Treffen mit dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe in Berlin. Dazu gehörten auch Gespräche mit dem Kreml in Moskau.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow nahm die moskautreuen Aktivisten in Schutz. „Diese Leute erhalten ständig Drohungen aus Kiew, dass die Armee und gepanzerte Fahrzeuge gegen sie eingesetzt werden“, sagte Lawrow bei einem Besuch in Chile. „Wir fordern die Freilassung der Beobachter, aber wir können nicht für die „Volksmiliz“ entscheiden.“ Kremlchef Wladimir Putin betonte in einem Telefonat mit dem britischen Premier David Cameron, die Krise in der Ex-Sowjetrepublik sei nur auf friedlichem Wege zu lösen.

Der prorussische Milizenführer Wjatscheslaw Ponomarjow verneinte in dem Geisel-Drama jegliche Einflussnahme Putins. „Wir hatten bisher noch keinen Kontakt zu Moskau und gehorchen hier auch nicht Putin, wir sind die Volksrepublik Donezk“, sagte der selbst ernannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk „Bild Online“. „Wir sind in einem guten Dialog, aber ich denke nicht, dass es eine Freilassung schon heute oder morgen geben kann.“

Zuvor hatte Ponomarjow noch den Eindruck erweckt, es könne eine schnelle Lösung „ohne einen Geiselaustausch“ geben. Die Separatisten hatten mehrfach erklärt, inhaftierte Gesinnungsgenossen freipressen zu wollen. Kremlchef Putin hatte am Dienstagabend in Weißrussland gesagt, er setze darauf, dass die Militärs die Region ungehindert verlassen könnten. Das Auswärtige Amt in Berlin sprach von schwierigen Verhandlungen zwischen der OSZE und den prorussischen Separatisten, die die Soldaten festhalten. Die Regierung in Kiew betonte, die Gespräche dauerten an.

Die prowestliche Führung will am 25. Mai zusätzlich zur Präsidentenwahl eine Volksbefragung abhalten. Dabei solle es darum gehen, ob das Land als Einheit erhalten bleiben solle, sagte Regierungschef Arseni Jazenjuk. Die prorussische Aktivisten in der Ost- und Südukraine planen allerdings eigene Referenden für den 11. Mai über eine Abspaltung von Kiew.

Übergangspräsident Alexander Turtschinow räumte ein, die Kontrolle über Teile des krisengeschüttelten Landes verloren zu haben. In den ostukrainischen Gebieten Donezk und Lugansk seien einige Regionen in den Händen moskautreuer Aktivisten. Turtschinow warf den Sicherheitskräften Versagen vor.

In der Ostukraine sind die prorussischen Militanten weiter auf dem Vormarsch. Unbehelligt von Sicherheitskräften nahmen Separatisten am Dienstag auch die Gebietsverwaltung der östlichsten Großstadt Lugansk ein. In Lugansk und Gorlowka besetzten prorussische Demonstranten am Mittwochmorgen weitere Verwaltungsgebäude.

Der Westen beschuldigt Russland, sich einer Umsetzung der Genfer Vereinbarungen, die unter Beteiligung Moskaus ausgehandelt worden waren, zu verweigern und die Krise in der Ukraine anzufachen. Die Europäische Union und die USA hatten daraufhin am Montag eine Ausweitung der bislang verhängten Strafmaßnahmen gegen Russland beschlossen.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy rief Moskau zur Einhaltung des Genfer Abkommens zur Lösung der Ukraine-Krise auf. Die Situation vor Ort sei weiterhin „beunruhigend“. Russland müsse mit ernsten Konsequenzen rechnen, falls es zu einer weiteren Destabilisierung in der Ukraine komme, sagte der Politiker bei einem Kurzbesuch in Prag. Er kritisierte einen weiteren Truppenaufbau Russlands an der Grenze zur Ukraine.

Der inzwischen im russischen Exil lebende frühere ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch war Ende Februar nach heftigen Protesten gegen seinen prorussischen Kurs gestürzt worden. Seither amtiert in Kiew eine prowestliche Führung.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht wegen der internationalen Sanktionen im Zuge der Ukraine-Krise eine Rezessionsgefahr für Russland. Für Mittwochabend wurde eine Entscheidung im IWF-Exekutivrat über Milliarden-Hilfen für die Ukraine erwartet. Es geht dabei um die Freigabe von geplanten Krediten in Höhe von 14 bis 18 Milliarden Dollar (10 bis 13 Mrd Euro) für die kommenden zwei Jahre.

Die ukrainischen Schulden für russisches Gas sind nach Moskauer Angaben im April um rund 1,3 Milliarden US-Dollar auf etwa 3,5 Milliarden US-Dollar gestiegen. Kiew weigert sich, die von Russland massiv angehobenen Preise zu bezahlen. Auf Druck internationaler Kreditgeber erhöht der nahezu bankrotte ukrainische Staat den Gaspreis für Privathaushalte an diesem Donnerstag (1. Mai) deutlich.