Konflikt zwischen Berlin und Ankara
Berlin/Istanbul (dpa) - Der Streit zwischen Berlin und Ankara um das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen Demonstranten eskaliert. Wegen deutschlandkritischer Äußerungen der Regierung in Ankara wurde am Freitag der türkische Botschafter in Berlin, Hüseyin Avni Karslioglu, ins Auswärtige Amt (AA) einbestellt.
Äußerungen zu den EU-Beitrittsverhandlungen seien auf großes Unverständnis gestoßen. „Das geht so nicht“, sagte AA-Sprecher Andreas Peschke.
Kurz darauf bestellte das türkische Außenministerium den deutschen Botschafter Eberhard Pohl ein, wie eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage bestätigte. Außenminister Ahmet Davutoglu habe bei einem Besuch im ukrainischen Odessa gesagt, Grund seien Aussagen Pohls und aus Deutschland, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu. Da Pohl sich nicht in Ankara aufhalte, werde ihn ein anderer Diplomat vertreten.
Der türkische Europaminister Egemen Bagis hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag davor gewarnt, den EU-Beitritt der Türkei aus wahltaktischen Gründen zu blockieren. „Sollte Frau Merkel innenpolitischen Stoff für ihre Wahl suchen, darf dieser Stoff nicht die Türkei werden“, sagte Bagis nach türkischen Medienberichten.
Kritisiert wurde im AA eine weitere Bemerkung des Ministers, die sinngemäß lautete: Wer sich mit der Türkei anlege, werde kein glückliches Ende nehmen. Man habe dem türkischen Botschafter mitgeteilt, dass Außenminister Guido Westerwelle solche Äußerungen nicht für hilfreich halte, hieß es aus dem AA.
Bagis teilte nach einem Online-Bericht der „Hürryiet Daily News“ vom Freitagabend mit, seine Aussagen seien keine Drohung gewesen. Es habe sich um ein Missverständnis gehandelt. Er habe lediglich seine Enttäuschung über die Haltung der Bundesregierung zum EU-Beitrittsprozess der Türkei zum Ausdruck bringen wollen.
Merkel hatte Anfang der Woche kritisiert, die Sicherheitskräfte in Istanbul seien „viel zu hart vorgegangen“. Sie sagte: „Das, was im Augenblick in der Türkei passiert, entspricht nicht unseren Vorstellungen von Freiheit der Demonstration, der Meinungsäußerung.“
In Brüssel war am Donnerstag bekanntgeworden, dass die EU voraussichtlich nicht wie geplant am kommenden Mittwoch ein neues Kapitel in den Verhandlungen mit der Türkei eröffnen werde. Dies habe vor allem technische Gründe, sagte AA-Sprecher Peschke. Zum Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Protestbewegung gebe es „keinen direkten Zusammenhang“. Die Dinge müssten aber im politischen Kontext gesehen werden. „De-Eskalation ist das Gebot der Stunde.“
Vize-Regierungssprecher Georg Streiter betonte, Merkel wolle den Beitrittsprozess nicht infrage stellen. „Es geht nicht um das Ob, sondern nur um das Wie der Fortführung.“ Die EU-Länder und die Türkei hätten sich auf die Einhaltung der gleichen Werte verpflichtet. Hierzu gehöre auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Außenminister Guido Westerwelle und sein türkischer Amtskollege Davutoglu nehmen an diesem Samstag beide an einem Treffen der Syrien-Kontaktgruppe im Golf-Emirat Katar teil.
Die Zeitung „Hürriyet“ berichtete in ihrer Online-Ausgabe, in der Hafenstadt Mersin habe die Polizei erneut Wasserwerfer gegen Demonstranten eingesetzt. Auf dem Istanbuler Taksim-Platz, in der Hauptstadt Ankara und in der Stadt Yalova sei es zu stillen Protesten gekommen. Bei den Protesten, die vor drei Wochen begannen, kamen vier Demonstranten und ein Polizist ums Leben. Tausende wurden verletzt, zahlreiche Menschen wurden festgenommen. Die Protestwelle hatte sich an der brutalen Räumung eines Camps von Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park entzündet.
Drei Wochen nach Beginn der Proteste beharrte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf seiner Haltung, die geplante Bebauung des Gezi-Parks am Taksim-Platz diene den Demonstranten nur als Vorwand. „Ihr wirkliches Ziel ist es, die Wirtschaft und Demokratie der Türkei zu zerstören“, sagte er laut Anadolu auf einer Kundgebung seiner islamisch-konservativen AKP im mittelanatolischen Kayseri. „Der Taksim-Platz ist kein Platz für Demonstrationen. Der Gezi-Park gehört nicht Besetzergruppen.“