Kremlkritiker Chodorkowski schuldig gesprochen

Moskau/Berlin (dpa) - Ungeachtet scharfer internationaler Proteste ist der inhaftierte Kremlkritiker Michail Chodorkowski in Moskau wegen Unterschlagung und Geldwäsche schuldig gesprochen worden.

Der frühere Chef des mittlerweile zerschlagenen Yukos-Ölkonzerns nahm das Urteil heute demonstrativ ungerührt auf, wie die Agentur Interfax meldete. Der 47-jährige Gegner von Regierungschef Wladimir Putin saß während des Prozesses in einem Glaskäfig. Vor dem Gerichtsgebäude forderten etwa 300 Sympathisanten einen Freispruch und demonstrierten gegen den „Polizeistaat“. Es kam zu Festnahmen. Die USA, Deutschland, die Europäische Union und Menschenrechtler kritisierten das Urteil.

Das Strafmaß in diesem zweiten Verfahren gegen Chodorkowski wird vermutlich erst in einigen Tagen verkündet. Die Verteidigung will Rechtsmittel dagegen einlegen. Russlands berühmtester Häftling, der noch bis 2011 eine achtjährige Strafe wegen Steuerhinterziehung absitzt, hat die Vorwürfe als politisch motiviert zurückgewiesen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte das Urteil scharf. „Die Umstände des Verfahrens sind äußerst bedenklich und ein Rückschritt auf dem Weg zur Modernisierung des Landes“, erklärte der Vizekanzler in Berlin. Regierungssprecher Christoph Steegmans hatte zuvor zurückhaltend reagiert. Die Bundesregierung könne den Fall erst umfassend bewerten, wenn das Urteil vollständig bekannt sei, also auch Strafmaß und Urteilsbegründung.

US-Außenministerin Hillary Clinton äußerte den Verdacht, dass „das Recht von politischen Erwägungen überschattet“ werde. Der Fall Chodorkowski und andere Fälle hätten negative Folgen auf Russlands Ruf bei der Einhaltung der Menschenrechte. Außerdem schade dies dem Investitionsklima in Russland. Deutschland und die USA hatten den Prozess wiederholt als „Test“ für die Reformversprechen von Kremlchef Dmitri Medwedew bezeichnet. Die EU rief Moskau zur Achtung der Menschenrechte auf.

Beobachter rechnen damit, dass die russische Führung den noch immer einflussreichen und finanzstarken Chodorkowski über die Präsidentenwahl 2012 hinaus politisch kaltstellen will. Die Staatsanwaltschaft forderte in dem international beachteten Prozess eine Haftstrafe von sechs weiteren Jahren bis 2017. Weder von Medwedew noch von Putin gab es bis zum Abend eine Reaktion.

Richter Viktor Danilkin befand Chodorkowski und dessen mitangeklagten Ex-Geschäftspartner Platon Lebedew für schuldig, Öl im Wert von 892 Milliarden Rubel (rund 22,5 Mrd Euro) gestohlen zu haben. Er glaube ihren Unschuldsbeteuerungen nicht, sagte Danilkin. Chodorkowski war im Herbst 2003 bei einem Zwischenstopp mit seinem Privatjet in Nowosibirsk festgenommen worden. Selbst aus der Untersuchungshaft heraus habe er Komplizen Aufträge zur Geldwäsche erteilt, sagte der Richter.

Ein weiteres Verfahren wegen Aktienbetrugs stellte Danilkin hingegen wegen Verjährung ein. Unklar war, ob dies zu einem insgesamt milderen Urteil beitragen könnte.

Die Opposition zeigte sich „entsetzt“ von dem Schuldspruch. „Heute ist ein trauriger Tag für Russland“, sagte der frühere Vize- Regierungschef Boris Nemzow. Vor dem Gerichtsgebäude verlangten Demonstranten Freiheit für die Angeklagten. „Jeder von uns kann zu einem Chodorkowski werden“, hieß es auf einem Plakat. Sicherheitskräfte führten mehrere Menschen ab.

Während der Verlesung des Urteils schloss der Richter die Presse zeitweise aus. Chodorkowskis Ehefrau Inna wurde des Saals verwiesen, weil sie zu oft geredet habe.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, kritisierte den Schuldspruch als „Beispiel für politische Willkürjustiz“. „Ich bin zutiefst empört“, sagte Löning der Nachrichtenagentur dpa. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff kritisierte, Urteil und Prozessverlauf „sind ein Rückschlag für die Bemühungen um mehr Rechtssicherheit in Russland“.

Kritik kam auch von Amnesty International: „Das Urteil und das gesamte Verfahren zeigen, wie weit Russland von einem Rechtsstaat entfernt ist“, sagte der Russland-Experte der Menschenrechtsorganisation, Peter Franck.

Die Verteidigung kündigte an, den Richterspruch anzufechten. „Der Prozess war eine juristische Farce, die Anklagepunkte waren unwahr“, sagte Chodorkowskis Anwalt Wadim Kljuwgant. Chodorkowski hatte angekündigt, im Falle eines Schuldspruchs notfalls bis vor den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu ziehen.

Putin hatte kürzlich im Staatsfernsehen eine Verurteilung seines Erzfeindes Chodorkowskis gefordert und war deswegen von Präsident Dmitri Medwedew in einem TV-Interview indirekt gerügt worden.