Russische Invasion Krieg in der Ukraine: Russischer Angriff nahe Polen - USA wollen Luftabwehrsysteme liefern

Kiew · Russland hat bei seinem Krieg in der Ukraine erstmals auch einen folgenreichen Raketenangriff in unmittelbarer Nähe der polnischen Grenze verübt. Zahlreiche Menschen starben. Die USA betonen, dass Nato-Gebiet verteidigt werden wird.

 Mariupol: Ein ukrainischer Soldat gestikuliert, während er seine Stellung bewacht.

Foto: dpa/Mstyslav Chernov

13.03. 16.35 Uhr: USA betonen nach Angriff nahe Polens Grenze Verteidigungsbereitschaft von Nato-Gebiet - Luftabwehrsysteme sollen an Ukraine geliefert werden

Nach dem russischen Raketenangriff nahe der polnischen Grenze hat das US-Verteidigungsministerium nochmals betont, dass die Vereinigten Staaten und die Bündnispartner das Gebiet der Nato-Staaten im Angriffsfall verteidigen werden. „Ein bewaffneter Angriff gegen einen wird wie ein bewaffneter Angriff auf alle bewertet“, sagte Sprecher John Kirby am Sonntag dem TV-Sender ABC mit Blick auf die Beistandspflicht der Nato-Partner. Dies sei auch der Grund, wieso die US- und Nato-Streitkräfte ihre Präsenz an der östlichen Grenze des Bündnisgebiets verstärkten, sagte er.

„Und wir haben es gegenüber Russland sehr klar gemacht, dass Nato-Gebiet verteidigt werden wird, nicht nur durch die Vereinigten Staaten, sondern auch durch unsere Verbündeten“, sagte Kirby. Er verwies darauf, dass es eine bestehende Leitung zum russischen Verteidigungsministerium gebe, um direkte Konflikte zu vermeiden.

Auch US-Präsident Joe Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan betonte am Sonntag im Gespräch mit dem Sender NBC, dass die USA „jeden Zentimeter des Nato-Gebiets verteidigen werden“. Das US-Militär werde aber nicht direkt in der Ukraine eingreifen, um eine Konfrontation mit Russland zu vermeiden, sagte er.

Bei einem Raketenangriff auf einen Truppenübungsplatz unweit der grenznahen ukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) kamen am Sonntagmorgen mindestens 35 Menschen ums Leben, Dutzende wurden verletzt.

Die US-Regierung will den ukrainischen Streitkräften im Rahmen der nächsten Waffenlieferungen vor allem Luftabwehrsysteme zukommen lassen. Das sei momentan „der Fokus“, sagte US-Präsident Joe Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan am Sonntag dem TV-Sender CNN. Biden hatte erst am Samstag weitere 200 Millionen US-Dollar für Waffenlieferungen bewilligt.

Sullivan sagte dem Sender, die USA würden den Ukrainern keine Kampfflugzeuge zur Verfügung stellen, um eine direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Gleichzeitig setze man auf „andere Methoden“, um die Ukrainer zu befähigen, den russischen Vormarsch zu bremsen und die ukrainischen Dörfer und Städte zu beschützen.

Die USA und die Nato-Verbündeten hätten ein funktionierendes System, den Ukrainern weiter „bedeutende Mengen Militärhilfen“ und „Waffen für die Front“ zukommen zu lassen, betonte Sullivan. Damit solle sichergestellt werden, dass der Krieg in der Ukraine für Russlands Präsidenten Wladimir Putin eine „strategische Niederlage“ werde.

Sullivan nannte keine weiteren Einzelheiten zu den geplanten Lieferungen von Flugabwehrsystemen. Darunter könnten zum Beispiel infrarotgelenkte Flugabwehrraketen vom Typ Stinger fallen. Zudem gibt es dem Vernehmen nach Gespräche, der Ukraine russische Flugabwehrraketensysteme vom Typ S-300 zur Verfügung zu stellen, die noch in osteuropäischen Nato-Mitgliedstaaten vorhanden sein sollen.

Der jüngste russische Luftangriff im Westen der Ukraine nahe der polnischen Grenze sei aufgrund der Erkenntnisse von US-Regierung und Geheimdiensten nicht überraschend gewesen, sagte Sullivan. „Was das zeigt ist, dass Wladimir Putin von der Tatsache frustriert ist, dass seine Kräfte mit Blick auf große Städte wie Kiew nicht die Fortschritte machen, die er erwartet hatte“, sagte Sullivan weiter. Jetzt weite er die Ziele aus, schlage um sich und wolle „in jedem Teil des Landes für Zerstörung sorgen“, sagte er im CNN-Gespräch.

13.03., 15.42 Uhr: US-Journalist bei Angriff getötet - Russland versucht, Hauptstadt Kiew auch von Osten zu blockieren

Bei einem Angriff in der Ukraine ist ein US-Journalist getötet worden. Ein weiterer US-Journalist sei bei dem Angriff im Vorort Irpin nordwestlich von Kiew verletzt worden, sagte der Chirurg Danylo Schapowalow, der als Freiwilliger vor Ort im Einsatz war. AFP-Reporter in Irpin sahen die Leiche des Getöteten.

Dem Mediziner zufolge waren die beiden Journalisten mit einem ukrainischen Zivilisten in einem Auto unterwegs, als der Wagen von Kugeln getroffen wurde. Auch der Zivilist wurde demnach verletzt. Irpin ist seit Tagen Ziel russischer Angriffe.

Bei ihrem Angriff auf Kiew versuchen die russischen Truppen nach Angaben des ukrainischen Generalstabs, die Hauptstadt auch von Osten zu blockieren. Russische Einheiten hätten die Fernstraße E95 in Richtung der Vororte Browary und Boryspil überquert, teilte der Generalstab in Kiew am Sonntag mit. Nordwestlich und nordöstlich der Millionenstadt sammelten die Angreifer ihre Kräfte für einen Vorstoß.

Die russische Armee ziehe zudem Reserven ein, hieß es aus Kiew weiter. So würden Soldaten in die Ukraine verlegt, die eigentlich zur Friedenssicherung in der von Aserbaidschan und Armenien beanspruchten Kaukasusregion Bergkarabach eingesetzt seien. Auch Söldner aus Syrien und Serbien sollen demnach auf russischer Seite kämpfen. Die ukrainische Führung hat wiederholt betont, die russische Armee habe erhebliche Nachschubprobleme und erleide hohe Verluste. Alle Angaben sind nicht unabhängig zu überprüfen.

Russland hatte bei seinem Krieg in der Ukraine erstmals auch einen folgenreichen Raketenangriff in unmittelbarer Nähe der polnischen Grenze verübt. Am Sonntagmorgen starben mindestens 35 Menschen bei der Attacke auf einen Truppenübungsplatz unweit der Stadt Lwiw. 134 weitere wurden nach ukrainischen Angaben verletzt. Unter anderem auch rund um Kiew gingen am 18. Tag der Invasion heftige Gefechte weiter. Die Lage mehrerer Hunderttausend Einwohner der belagerten Hafenstadt Mariupol bleibt dramatisch.

Der Angriff bei Lwiw hat eine besondere Brisanz. In der Stadt sammeln sich viele Flüchtlinge. Der Übungsplatz Jaworiw ist nur rund 15 Kilometer von der Grenze zu Polen entfernt. Auf ihm waren zumindest vor dem Krieg viele Nato-Ausbilder aktiv. Videos und Fotos zeigten schwere Zerstörungen. Gebietsgouverneur Maxym Kosyzkyj zufolge wurden mehr als 30 Raketen abgefeuert. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow forderte nach dem Angriff erneut eine Flugverbotszone über dem Land.

Kämpfe bei Kiew und Mariupol

Rund um die ukrainische Hauptstadt gab es nach ukrainischen Angaben heftige Kämpfe in den Ortschaften Irpin und Makariw. Ähnlich sei die Lage auch in anderen Dörfern, die humanitäre Lage werde immer schlechter. Allein am Samstag seien etwa 20 000 Menschen evakuiert worden. Im Südosten versuchen russische Einheiten den Angaben zufolge weiter eine Erstürmung der tagelang belagerten Hafenstadt Mariupol mit rund 400 000 Einwohnern. Nach ukrainischen Angaben starben in Mariupol bereits mehr als 1500 Zivilisten. Im Süden sammele sich russisches Militär an der Industriegroßstadt Krywyj Rih mit über 600 000 Einwohnern. Die Angaben waren unabhängig nicht überprüfbar.

Kiew deckt sich mit Lebensmitteln ein - Blockade durch russische Truppen befürchtet

Die ukrainische Hauptstadt Kiew bereitet sich auf eine mögliche Blockade durch russische Truppen vor. Es seien Vorräte mit Lebensmitteln angelegt worden, um zwei Millionen Kiewer zwei Wochen lang zu versorgen, sagte der Vizechef der Stadtverwaltung, Walentyn Mondryjiwskyj, am Sonntag. „Diese zwei Millionen Kiewer, die ihre Häuser nicht verlassen haben, werden nicht allein gelassen.“

Bürgermeister Vitali Klitschko hatte zuletzt gesagt, dass Hunderttausende Einwohner Kiew bereits verlassen hätten und sich noch weniger als zwei Millionen Menschen in der Metropole aufhielten.

Die Behörden hätten in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in den vergangenen Tagen ihr Bestes gegeben, um Geschäfte und Apotheken zu öffnen und die Preise „auf einem erschwinglichen Niveau“ zu halten, sagte Mondryjiwskyj. Nordwestlich und östlich von Kiew gibt es schwere Gefechte mit russischen Truppen. Es wird befürchtet, dass diese die Hauptstadt in den nächsten Tagen einkesseln könnten.

Nato-Chef: Nächste Tage werden wohl größere Not bringen

Die Nato erwartet eine weitere Verschärfung der Kämpfe und der humanitären Notlage. „Wir sehen mit Schrecken die steigenden Zahlen ziviler Opfer und die sinnlose Zerstörung durch die russischen Kräfte“, sagte der Generalsekretär der Militärallianz, Jens Stoltenberg, der Zeitung „Welt am Sonntag“. Die Menschen in der Ukraine widersetzten sich der Invasion mit Mut und Entschiedenheit, „aber die kommenden Tage werden wahrscheinlich noch größere Not bringen“, warnte er.

Stoltenberg lehnte erneut Forderungen ab, die Nato solle eine Flugverbotszone über der Ukraine durchsetzen. Das würde bedeuten, dass russische Kräfte angegriffen werden müssten. „Und damit würde man eine direkte Konfrontation und eine unkontrollierbare Eskalation riskieren. Wir müssen diesen Krieg beenden und ihn nicht noch ausweiten.“ Die Nato sei eine defensive Allianz. „Wir suchen keinen Konflikt mit Russland.“

Russische Statthalterin und Berichte über entführte Bürgermeister

In der südukrainischen Stadt Melitopol setzte Russland erstmals in einem eroberten Gebiet eine eigene Statthalterin ein. Die Lokalabgeordnete Halyna Daniltschenko rief die Einwohner auf, sich „an die neue Realität“ anzupassen. Zugleich verlangte sie, die Menschen sollten nicht mehr gegen die russischen Besatzungstruppen demonstrieren. Melitopols Bürgermeister Iwan Fedorow war zuvor nach Kiewer Angaben von der russischen Seite verschleppt worden - wie auch der Bürgermeister der Kleinstadt Dniprorudne.

Selenskyj droht Kollaborateuren

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj drohte Kollaborateuren Russlands in der Ukraine mit dem Tod. Wer sich von Angeboten der russischen Besatzer in Versuchung geführt sehe, unterschreibe damit sein eigenes Urteil, sagte er in einer in der Nacht zu Sonntag veröffentlichten Videobotschaft. „Das Urteil lautet, mehr als 12 000 Besatzern zu folgen, die nicht rechtzeitig verstehen konnten, warum die Ukraine nicht angegriffen werden sollte.“ Zuletzt hieß es von ukrainischer Seite, dass mehr als 12 000 russische Soldaten in dem Krieg in der Ukraine getötet worden seien.

Habeck sieht Fortschritte zu weniger Abhängigkeit von russischer Energie

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck sieht Fortschritte bei den Bemühungen, die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Öl sowie von Kohle und Gas zu verringern. „Jeden Tag, ja faktisch jede Stunde verabschieden wir uns ein Stück weit von russischen Importen“, sagte der Grünen-Politiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. „Wenn es gelingt, sind wir im Herbst unabhängig von russischer Kohle und Ende des Jahres nahezu unabhängig von Öl aus Russland.“ Bei Gas sei es komplizierter, da Deutschland keine Importkapazitäten für Flüssigerdgas (LNG) habe. „Die schaffen wir jetzt unter Hochdruck.“

Habeck bekräftigte zugleich seine ablehnende Haltung in der Diskussion um ein EU-Embargo russischer Energielieferungen: „Die Sanktionen müssen so sein, dass wir durchhalten können. Im Zweifel nicht nur drei Tage.“

Fast 1,7 Millionen Flüchtlinge aus Ukraine in Polen

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich fast 1,7 Millionen Menschen in Polen in Sicherheit gebracht. Allein am Samstag hätten rund 79 800 Menschen die Grenze überschritten, teilte der polnische Grenzschutz am Sonntag mit.

Bürgerrechtler: Festnahmen bei Protesten in Russland

Bei neuen Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine wurden in Russland nach Angaben von Bürgerrechtlern landesweit mehr als 60 Menschen festgenommen. Zu den Festnahmen sei es bei Protesten in 14 Städten gekommen, teilte die Organisation Owd-Info mit. Bilder und Videos in sozialen Netzwerken zeigten, wie Menschen von Polizisten mit Schutzhelmen und schwerer Ausrüstung weggezerrt wurden. Insgesamt wurden den Angaben von Owd-Info seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar mehr als 13 800 Menschen festgenommen.

In der Hauptstadt Moskau war ein bei Touristen beliebter Platz direkt am Kreml mit Metallgittern abgesperrt. Für den Fall neuer Proteste standen Hundertschaften der Sonderpolizei OMON bereit, teils mit schusssicheren Westen und Helmen. Der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny hatte aufgerufen, gegen den Krieg auf die Straße zu gehen.

(dpa)