Leck in belgischem Atomreaktor
In einem Druckbehälter wurde ein 20-Millimeter-Riss entdeckt. Bautyp aus Antwerpen auch nach Deutschland geliefert.
Antwerpen. Ein Schaden im Kernkraftwerk Doel bei Antwerpen beunruhigt Belgien und die EU. In dem betagten Meiler muss der Block 3 bis auf weiteres abgeschaltet bleiben, nachdem bei einer Routine-Überprüfung im Stahlmantel des Reaktordruckbehälters ein 20 Millimeter langer Haarriss entdeckt worden war.
Der Betreiber Electrabel und die Atomaufsicht versichern, eine Gefahr für Bürger und Umwelt bestehe nicht. Die Frage ist allerdings, ob möglicherweise weitere Druckbehälter desselben Fabrikats ebenfalls anfällig sind.
Hergestellt hatte sie eine Firma in den Niederlanden, die allerdings nicht mehr existiert. Nach unbestätigten Berichten hatte sie auch zwei Behälter nach Deutschland geliefert.
Der Reaktor Doel 3 wurde schon vor mehreren Wochen für die jährliche Wartung heruntergefahren. Dabei ergaben sich Anzeichen, dass der Mantel aus rostfreiem Stahl möglicherweise nicht mehr hundertprozentig intakt sei — ein Verdacht, der sich nach weiteren Tests bestätigt hat und diese Woche offiziell bestätigt wurde.
Das belgische Bundesamt für Nuklearkontrolle (AFCN) sprach von „zahlreichen Auffälligkeiten“, die an mehreren Stellen festgestellt worden seien. Der Reaktor bleibe mindestens bis zum 31. August abgeschaltet.
Die Betreiberfirma Electrabel erklärte, der Reaktor werde nicht hochgefahren, bevor nicht garantiert sei, dass er auch bei einer außergewöhnlichen Druckentwicklung im Falle einer Störung oder eines Unfalls jede Belastung aushalte.
Belgiens Atomkraftwerke Doel und Tihange (südwestlich von Lüttich) produzieren rund die Hälfte des nationalen Stromverbrauchs. Rund ein Drittel davon entfallen auf die Reaktorblöcke Doel 3 und Tihange 2, deren Behälter von der Rotterdamer Firma RDM stammen. Doel 3 hatte 1982 den Betrieb aufgenommen, Tihange 2 1983.
Der Hersteller war wenig später pleite gegangen. Laut AFNC-Direktor Willy De Roovere hatte RDM insgesamt 22 Druckbehälter gefertigt. Laut „Le Monde“ waren zehn in die USA gegangen, je zwei nach Belgien, Deutschland, Spanien, den Niederlanden und in die Schweiz, je einer nach Argentinien und Schweden. Da der Hersteller aber nicht mehr existiert, wisse die AFNC nicht, wo sich diese genau befinden.
Die belgische Regierung plant zwar den Ausstieg aus der Nuklear-Technologie, hatte das Szenario dafür aber erst kürzlich gestreckt. Danach soll Doel 3 im April 2022 endgültig vom Netz gehen, Tihange 2 ein Jahr später. Hinter diesen Plänen steht jetzt ein Fragezeichen — der Austausch eines Druckbehälters gilt als nahezu unmöglich, die nachhaltige Reparatur eines Risses als schwierig.
Sollte Doel 3 schon jetzt definitiv ausfallen, müssten womöglich die beiden ältesten Blöcke, die schon seit 1975 in Betrieb sind, länger laufen. Derzeitiger Termin für deren Ausmusterung ist 2016. „Der Terminplan für den Atomausstieg muss gegebenenfalls überdacht werden“, erklärte De Roovere.
Die EU-Kommission in Brüssel verwies darauf, dass die nach der Fukushima-Katastrophe eingeleitete Tauglichkeitsprüfung („Stress-Test“) für die europäischen Atommeiler noch nicht abgeschlossen sei.
Das Ergebnis und entsprechende Empfehlungen werde der deutsche Energie-Kommissar Günther Oettinger im Herbst vorlegen. Für Kontrolle, allfällige Abschaltung oder technische Nachrüstung seien die Mitgliedsstaaten zuständig. „Das ist deren Kompetenz”, erklärte Oettingers Sprecherin.
Auch zur Weitergabe von Informationen seien die Mitgliedsländer der Europäischen Union nur bei Unfällen verpflichtet. Die Kommission sei von den Belgiern bislang aber nicht unterrichtet worden und wisse nicht, wo in der EU weitere Druckbehälter der Bauart wie in Doel 3 installiert seien.