Marokko: Der König bittet zur Wahl
Am Freitag stimmt das Land über eine neue Verfassung ab. Für den Deutsch-Marokkaner Azzadine Karioh ist sie „ein Segen“.
Essen. „Die Marokkaner sind stolz darauf, dass sie eine Änderung der Verhältnisse herbeigeführt haben, ohne Blut zu vergießen“, sagt Azzadine Karioh. Der 32-Jährige arbeitet als Rechtsanwalt in Essen, ist in Deutschland geboren und lebt hier in dritter Generation. Trotzdem ist er heute ganz und gar Marokkaner. Denn im Heimatland seiner Familie stimmt die Bevölkerung über eine neue Verfassung ab.
Nach den Umbrüchen in der arabischen Welt kam es auch in Marokko zu Protesten gegen den mit allen Machtbefugnissen ausgestatteten König Mohammed VI. Er reagierte, indem er eine Verfassungsreform ankündigte, die unter anderem die Gleichberechtigung der Frau und Religionsfreiheit beinhaltet. Nun stimmt das Volk darüber ab und auch Azzadine Karioh geht dank doppelter Staatsbürgerschaft zur Wahl, allerdings im Konsulat in Düsseldorf.
Er sei überrascht gewesen, wie weit die Änderungen gehen. „Die Reform ist ein Segen. Sie beweist, dass Marokko eine positive Ausnahmeerscheinung in der arabischen Welt ist“, sagt Karioh. Eine demokratische Öffnung sei schon vorher erkennbar gewesen. So sei es auch deshalb in Marokko zu vergleichsweise wenigen Protesten gekommen, weil es bereits ein Mehrparteiensystem im Land gibt. „Die Monarchie ist außerdem seit Jahrhunderten etabliert. Das ist nicht mit einer Diktatur zu vergleichen, in der sich ein Herrscher aus dem Nichts heraus hochgeputscht hat“, sagt Karioh.
Im Verfassungsentwurf würden zahlreiche Regeln festgeschrieben, die informell bereits praktiziert würden. So wird festgelegt, dass der König den Premierminister nicht mehr nach Gutdünken bestimmen darf. Er muss aus der Partei mit den meisten Wählerstimmen kommen. Neu ist, dass der Premier Minister ernennen und entlassen darf. Auch die Justiz soll unabhängiger werden.
Allerdings: Der König wird weiterhin die Kabinettssitzungen leiten, er bleibt religiöses Oberhaupt sowie Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Zuletzt hat es sowohl Proteste für als auch gegen die neue Verfassung gegeben. Den Gegnern geht die Machtabgabe des Königs nicht weit genug.
In Nordrhein-Westfalen leben 33 000 Marokkaner und nach Schätzungen etwa weitere 25 000 Deutsche mit marokkanischen Wurzeln. Azzadine Karioh weiß, dass jetzt viele wieder eher über eine Rückkehr in die Heimat nachdenken. Das gilt auch für ihn: „Ich bin mit der Gewissheit aufgewachsen, dass Behörden ihre Aufgaben erfüllen müssen, und dass ich mein Recht einklagen kann. Wenn ich sehe, dass sich die Systeme in Marokko an dieses Prinzip angleichen, denke ich eher darüber nach, einmal dorthin zu gehen.“