Nervenkrieg mit tödlichem Finale
Nach 32-stündiger Belagerung liefert sich der mutmaßliche Serienmörder Mohamed Merah ein Feuergefecht mit der Elite-Polizei.
Paris. Der Nervenkrieg im Toulouser Viertel Côte Pavée geht an diesem Donnerstagmorgen in die 33. Stunde. Schon seit mehr als zwölf Stunden besteht keinerlei Kontakt mehr zwischen den Verhandlungsführern und dem mutmaßlichen Serienmörder. Lebt Mohamed Merah (23) noch? Hat er sein verpfuschtes Leben angesichts der ausweglosen Situation schon beendet? Oder verschanzt sich der kaltblütige Waffennarr noch immer in seiner Wohnung?
Um kurz vor elf ist Schluss mit der Zermürbungstaktik, auf die die Männer der Spezialeinheit nach dem gescheiterten ersten Zugriff am Mittwochmorgen um 3.10 Uhr so lange gesetzt haben. Merah sollte unbedingt lebend gefasst werden. Doch jetzt entschließen sie sich zum zweiten Zugriff. Zuerst zünden die Polizisten der Eliteeinheit „Raid“ Blendgranaten und Schallbomben, dann dringen sie über Balkon und Eingangstür in die Wohnung ein. Zentimeter für Zentimeter inspizieren sie jedes Zimmer. Bis sie vor der Badezimmertür stehen. Dann, es ist inzwischen 11.25 Uhr, überschlagen sich die Ereignisse.
„Er ist schwer bewaffnet aus dem Badezimmer gestürzt und hat begonnen, auf die Polizisten zu schießen“, berichtet Innenminister Claude Guéant später. Der Nervenkrieg verwandelt sich in einen Krieg — es ist „High Noon“ in Toulouse. Fünf endlose Minuten lang peitschen Maschinengewehrsalven durch das Wohnviertel. Zwei Polizisten werden verletzt. Mehr als 300 Patronen werden verschossen. Eine Kugel muss Merah tödlich verletzt haben. Zwar schafft er es, vom Balkon zu springen, kommt aber nicht weit und wird tot auf dem Boden gefunden.
Anderthalb Wochen lang hatte der Franzose algerischer Abstammung die Region zwischen Toulouse und Montauban in Angst und Schrecken versetzt. Bei drei Anschlägen tötete er sieben Menschen, darunter jüdische Schüler und Fallschirmjäger. Dabei hatte er stets eine Kamera, um seine Taten zu filmen. Die Ermittler finden die Kamera in der Wohnung. Das angebliche Motiv des selbst ernannten „Gotteskriegers“: Rache nehmen für die im Gazastreifen getöteten palästinensischen Kinder, Vergeltung üben für den Afghanistan-Einsatz der französischen Armee.
Nicolas Sarkozy warnt am frühen Nachmittag vor einer Welle des Zorns, die sich gegen „unsere islamischen Landsleute“ richten könnte. „Sie haben mit dem terroristischen Wahnsinn gar nichts zu tun“, betont der Staatschef. Trotzdem wirft das Blutbad Fragen auf. Die meisten Franzosen schauen fassungslos in Mohamed Merahs Gesicht. Privatfotos zeigen den fröhlichen jungen Mann, den Freunde und Nachbarn als „freundlich und höflich“ schildern. Doch hinter dem Äußeren verbirgt sich ein Kleinkrimineller mit Knasterfahrung und ein islamistischer Killer, der offenbar weitere Morde plante.
Frankreich ist erleichtert, weil das Verbrechen relativ zügig aufgeklärt wurde. Außerdem spricht viel dafür, dass Merah ein Einzeltäter war. Doch viele rätseln, wie viele junge Männer aus den tristen Vorstädten sich in Terrorcamps wohl schon haben ausbilden lassen. Oder bald losfahren.