Nach Festnahme von Deutschen Neue Debatte über EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
Berlin (dpa) - Die Festnahme von zwei weiteren Deutschen in der Türkei hat eine neue Debatte über einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land ausgelöst.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer begründete eine entsprechende Forderung seiner Partei am Sonntag mit der „Willkürherrschaft und Geiselnahme unbescholtener deutscher Bürger“ durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte zwar, die Beitrittsverhandlungen seien „weitgehend eine Farce“ und gab Erdogan die Schuld dafür. Der Forderung nach einer Aussetzung der Gespräche schloss er sich aber nicht an, obwohl nur so auch ein Ende Beitrittshilfen in Milliardenhöhe möglich ist. Mit der Linkspartei hat die CSU aber einen seltenen Verbündeten bei der Forderung nach dem Stopp der Verhandlungen gefunden.
Die türkische Regierung forderte die Bundesregierung auf, sich nicht in ihre Angelegenheiten einzumischen. Deutschland rege sich auf, wenn man Anhänger der Gülen-Bewegung festnehme, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu und fragte die Bundesregierung laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu: „Was geht Dich das an?“. Die türkische Führung macht die Bewegung um den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom vergangenen Jahr verantwortlich.
Auch den beiden zuletzt in Antalya festgenommen Deutschen wird die Unterstützung der Gülen-Bewegung vorgeworfen. Die beiden Reisenden mit ausschließlich deutscher Staatsbürgerschaft und wahrscheinlich türkischen Wurzeln waren am Flughafen des Urlaubsorts von der Polizei festgesetzt worden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am Freitagabend angekündigt, dass die Bundesregierung nun ihre Türkei-Politik „vielleicht weiter überdenken“ müsse. Bereits Mitte Juli hatte sie nach der Verhaftung des Menschenrechtlers Peter Steudtner einen Kurswechsel vorgenommen, zunächst aber nur die Reisehinweise verschärft und mit weiteren Reaktionen gedroht.
CSU-Chef Horst Seehofer sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Montag): „Die Reisewarnung sollte jetzt ausgesprochen werden.“ Bayerns Ministerpräsident forderte, EU-Beitrittshilfen müssten gestoppt werden. Auch die angestrebte Visafreiheit könne es nicht geben. Diese Türkei komme nicht für die EU-Vollmitgliedschaft in Frage. „Wir können uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Es muss klar sein, dass Erdogan sein Land und sein Volk in unglaubliche Schwierigkeiten manövriert.“
Gabriel hat im Juli angekündigt, eine Kürzung der Beitrittshilfen zu prüfen. Eine formelle Reisewarnung spricht das Auswärtige Amt nur aus, wenn es für alle Besucher eine Gefahr für Leib und Leben in einem Land gibt. Bisher sind das nur sieben Bürgerkriegsländer von Afghanistan bis Syrien. Trotzdem wird ein solcher Schritt auch von Politikern von SPD, Grünen und Linken erwogen.
Außenminister Gabriel will auch andere EU-Staaten dazu bewegen, den Druck auf die Türkei zu erhöhen. Deutschland habe Reisehinweise verschärft und Wirtschaftshilfen reduziert, sagte der SPD-Politiker am Sonntag auf einer Wahlkampfveranstaltung in Goslar. „Wir werden in Europa mit anderen reden, dass sie das Gleiche tun.“ Gabriel gab Erdogan die Schuld an der Entfremdung mit der EU. „Er will seine innenpolitischen Konflikte überdecken, indem er sich einen äußeren Feind sucht - und das sind wir: Europa, gerne die Deutschen.“