Neue Demonstrationen in Istanbul - Toter bei Kurden-Protest
Istanbul (dpa) - Einen Monat nach Beginn landesweiter Proteste in der Türkei gerät die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Kurdenkonflikt erneut unter Druck.
Nachdem bei Protesten im überwiegend von Kurden bewohnten Südosten ein Demonstrant getötet worden war, gab es in Istanbul Proteste auch gegen das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten. Zudem forderten Zehntausende Türken am Sonntag mit einer bunten Parade im Zentrum von Istanbul mehr Rechte für Schwule und Lesben.
Mit Regenbogenfahnen zogen die Demonstranten vom Taksim-Platz aus über die Einkaufstraße Istiklal. „Alle Menschen sind gleich geboren“ und „Mörder-Staat. Die Rechnung kommt“, stand auf Plakaten geschrieben. Viele Demonstranten trugen bunte Verkleidungen und skandierten Slogans gegen die islamisch-konservative Regierung. „Dies ist nur der Anfang. Der Kampf geht weiter“, rief die Menge. Homosexualität ist in vielen Teilen der türkischen Gesellschaft geächtet oder wird weitgehend tabuisiert.
Beim schwersten Zwischenfall seit dem Beginn des Abzugs von Kämpfern der verbotene Kurdischen Arbeiterpartei PKK aus der Türkei in den Nordirak im Mai war in der Nacht zum Samstag ein junger Mann erschossen worden. Er hatte in einer Ortschaft bei Lice, in der südöstlichen Provinz Diyarbakir, gegen den Ausbau eines Postens der militärisch organisierten Gendarmerie demonstriert. Mindestens neun weitere Menschen seien verletzt worden, berichteten türkische Medien.
Gegen den Ausbau des Gendarmeriepostens hatten mehrere hundert Menschen demonstriert. Die Demonstranten warfen nach türkischen Angaben Steine und Brandsätze. Die Gendarmerie setzte demnach Tränengas ein, feuerte dann aber auch aus scharfen Waffen. Während die türkische Seite von Warnschüssen sprach, berichtete die kurdische Agentur Firat, die Gendarmerie habe auf die Demonstranten geschossen.
Die Provinzbehörden teilten am Sonntag mit, es sei aus den Reihen der Protestierer das Feuer eröffnet worden. Hinter den Protesten steckten Drogenschmuggler.
In Istanbul verknüpften Demonstranten ihren Protest am Samstag gegen Erdogans Politik mit Kritik an dem Einsatz in Lice. An der Demonstration beteiligten sich auch Politiker und Anhänger der Kurden-Partei BDP. Der Protest in Istanbul richtete sich auch gegen die Freilassung eines Polizisten, der bei Protesten in Ankara einen Demonstranten erschossen haben soll. Die Polizei drängte die Protestierer gewaltsam in Seitenstraßen ab, wo es zu Festnahmen kam.
In einem am Wochenende veröffentlichen Aufruf warnten 100 türkische Künstler und Intellektuelle angesichts der Gewalt bei den Protesten vor einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft. Kunst und Künstler dürften nicht unterdrückt und diffamiert werden, hieß es in dem unter anderem von Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk unterzeichneten Appell.
Ursprünglich hatten sich die Proteste an einem Plan zur Überbauung des Gezi-Parks am Rande des Taksim-Platzes entzündet. Inzwischen richten sich die Demonstrationen vor allem gegen den als immer autoritärer empfundenen Kurs Erdogans.