Neue Sanktionen sollen Russland zum Einlenken in der Ukraine bewegen

Washington/Brüssel/Slawjansk (dpa) - Die EU und die USA haben ihre Drohungen wahr gemacht: Aus Verärgerung über das Vorgehen Russlands in der Ukraine-Krise verhängten Brüssel und Washington am Montag neue Sanktionen gegen russische Regierungsmitglieder, Unternehmen und Manager.

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Die Moskauer Regierung bezeichnete die US-Schritte als „abscheulich“. Appelle zur Freilassung der in der Ostukraine festgehaltenen Militärbeobachter verhallten. Die Lage dort spitzte sich weiter zu. Bei einem Attentat wurde der Bürgermeister von Charkow lebensgefährlich verletzt.

Die Washingtoner Regierung bezeichnete die zusätzlichen Einreiseverbote und Kontensperrungen als „Antwort auf Russlands anhaltende illegale Intervention in der Ukraine und provokative Handlungen, die der Demokratie in der Ukraine schaden“. Statt seine Verpflichtungen aus dem Genfer Friedensplan vom 17. April zu erfüllen, habe Moskau die Krise gar noch angefacht.

Kurz vor der Verkündung der neuen Sanktionen sagte US-Präsident Barack Obama bei einem Besuch auf den Philippinen, diese sollten Putin dazu bewegen, „nicht nur darüber zu sprechen, die Krise in der Ukraine diplomatisch zu lösen, sondern das auch zu tun“. Prominente Namen auf der US-Liste sind etwa Vizeregierungschef Dmitri Kosak und der Chef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Igor Setschin.

Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow sprach nach Angaben der Agentur Interfax von einem „Realitätsverlust“ der USA. Der Sanktionstext verkenne vollständig die Vorgänge in der Ukraine. Der Minister kündigte Gegenmaßnahmen an.

Der ukrainische Übergangspräsident Arseni Jazenjuk hofft indes auf eine Reaktion Russlands auf die neuen Sanktionen. Nur, wenn die internationale Gemeinschaft gemeinsam handle, könne Moskau dazu gebracht werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und internationale Gesetze zu achten. „Das ist unsere einzige Chance. Die einzige Chance für mein Land und meine Regierung zu überleben“, sagte Jazenjuk im Interview der Deutschen Welle.

Die USA stimmten sich in der Sanktionsfrage mit den Europäern ab. Die Regierungen der 28 EU-Staaten beschlossen am Montag Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen 15 Personen, wie der EU-Ministerrat in Brüssel mitteilte. Damit wächst die Gesamtzahl der von solchen EU-Maßnahmen betroffenen Russen und prorussischen Ukrainer auf 48.

Zunächst blieb unklar, wer auf die ergänzte EU-Sanktionsliste gesetzt wurde. Diese wird aller Voraussicht nach erst am Dienstagvormittag im EU-Amtsblatt veröffentlicht, wie es in Brüssel hieß.

Die Lage in der Ostukraine schaukelte sich derweil weiter hoch. Wie eine Behördensprecherin mitteilte, wurde dem Bürgermeister von Charkow, Gennadi Kernes, in den Rücken geschossen. Sein Zustand galt nach einer Notoperation als stabil. Mutmaßlich moskautreue Aktivisten stürmten eine Polizeistation in Konstantinowka. Auf dem Militärflugplatz Kramatorsk beschossen Unbekannte die Regierungseinheiten. Zwei Sicherheitskräfte wurden verletzt.

Prorussische Protestführer fordern in der Region seit Wochen eine Volksabstimmung, eine weitreichende Föderalisierung oder sogar eine Loslösung von der Ukraine - wie zuletzt bei der Halbinsel Krim. Dabei machen sie auch vor der Verschleppung von Ausländern nicht Halt.

Die Bundesregierung verlangte vom selbst ernannten Bürgermeister der Separatisten-Hochburg Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, das festgehaltene Team von OSZE-Militärbeobachtern, zu dem auch vier Deutsche gehören, „unverzüglich, bedingungslos und unversehrt“ freizulassen. Ponomarjow lassen solche Appelle jedoch bislang kalt.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte in einem Telefonat mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow mehr Engagement von der Regierung in Moskau, um die Gefangenen freizubekommen. Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter zeigte sich zuversichtlich, dass der Kreml seinen Einfluss geltend machen wird. Entsprechende Signale habe er erhalten, sagte der Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte die Freilasung der OSZE- Beobachter, „unverzüglich, unverletzt und ohne Bedingungen“. Er verurteilte die Entführung, die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Die internationalen Beobachter müssten in der Lage sein, ihre Aufgaben zu erfüllen, sagte Ban.

Die bewaffneten Aktivisten werfen den seit Freitag gefangen gehaltenen Männern „Spionage für die Nato“ vor und erwägen einen Austausch mit inhaftierten Gesinnungsgenossen. Die prowestliche Regierung in Kiew lehnt dies ab. Das Berliner Außenministerium wies die Spionage-Vorwürfe als abwegig zurück.

Dem OSZE-Team gehören vier Deutsche vom Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw) aus Geilenkirchen in Nordrhein-Westfalen an. „Wir werden alles dafür tun, dass die Inspekteure unversehrt und ohne Wenn und Aber freikommen“, versprach Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei einem Besuch des Standorts.

Der ukrainische Justizminister Pawel Petrenko bezifferte derweil den Schaden durch den Verlust der Krim an Russland auf 950 Milliarden Griwna (62 Milliarden Euro). Diese Summe, die sich aus Berechnungen aller Ministerien und Behörden ergebe, berücksichtige aber nicht den Wert der Bodenschätze auf der Halbinsel, sagte Petrenko. Wie genau sich die Summe zusammensetzt, sagte der Minister nicht.

Trotz Kritik brach Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) derweil zu einer zweitägigen Russland-Reise auf. In St. Petersburg wollte er unter anderem am Montagabend an einem Empfang der Firma Nord Stream für Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) teilnehmen.