Obama stellt sich in London Fragen von Bürgern
London (dpa) - Barack Obama ist ganz bei sich. Ein fröhlicher, aufgeräumter US-Präsident. Junge Menschen, offene Fragen, lockere Atmosphäre, knisternde Aufregung in der Luft unter der Decke aus Glas und Stahl, eine Bühne, auf der er sich bewegen kann.
So etwas liebt er wirklich. Obama legt das Jackett ab, krempelt die weißen Ärmel auf, wechselt vom Pult ans Handmikrofon. Auf einem Hocker der stets mitgeführte Kaffeebecher mit dem Siegel des Präsidenten.
Am zweiten Tag seines Großbritannienbesuchs stellt sich Obama den Fragen junger Briten in einer offenen Runde. Ein so genannter „Town Hall“ in einer ehemalige Ausstellungshalle für exotische Pflanzen der Königlichen Gartengesellschaft „Royal Horticultural Society“. Die „Lindley Hall“ wurde 1904 eröffnet, dient auch als Ort der Modeschau „Fashion Week“.
Hierher sind etwa 700 junge Menschen aus dem Vereinigten Königreich gekommen, unter ihnen „die nächsten Obamas, die nächsten David Camerons“, wie die Moderatorin zur Begrüßung sagt. Über Stunden werden sie mit Popmusik in Stimmung gebracht (nicht immer taufrisch, Simple Minds, Whitesnake - Kim Wilde's „Kids in America“ ist von 1981).
Nordirland, der Klimawandel, Armut und Ungleichheit, die Zukunft Großbritanniens in der Europäischen Union, frühkindliche Erziehung - die Themen dieser rund 60 Minuten sind breit gesteckt. Die junge Fatimah fragt nach TTIP, dem umstrittenen Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA. Gerne nimmt Obama den Ball auf, wirbt für den Vertrag. „Solche Abkommen sind schwierig“, sagt er, „jedes Land muss etwas abgeben.“ Vor jeder neuen Frage schnellen fast hundert Arme hoch.
Obama mahnt einen längeren und optimistischer Blick der jungen Menschen auf die Geschichte an, zitiert John F. Kennedy: „Unsere Probleme sind von Menschen gemacht, sie sind auch von Menschen zu lösen.“ Er beschwört das Auditorium, sich nicht von einfachen Lösungen blenden, nicht von Kräften mitreißen zu lassen, die dann nicht mehr zu kontrollieren seien.
„Ihr seid die Generation, die Einwanderung und Pluralismus nicht als Belastung begreift, sondern als Chance“, sagt Obama. „Seid Ihr die Vertreter des Wandels!“
„Nach acht Jahren, was soll Ihr Vermächtnis sein?“ Obama lacht, „zunächst mal bin ich ja noch ein paar Monate im Amt!“ Dann zählt er auf: Seine Gesundheitsreform (Obama Care), die wirtschaftliche Erholung nach der großen Finanzkrise, der Atomvertrag mit dem Iran, „darauf bin ich sehr stolz“. Auf welche Führungseigenschaft hat er besonders Wert gelegt? „Eine dicke Haut hilft sehr“, sagt Obama.
Interessant war Obamas Einschätzung des amerikanischen Mediensystems. So divers sei es, dass die vielen Ableger letztlich Kompromisse erschwerten. Zu wenig Fakten, klagt er, zu wenig Interesse an der Wahrheit.
Am Morgen hatte Obama das berühmte Globe Theater am Ufer der Themse besucht, immerhin war der Samstag der groß gefeierte 400. Todestag von William Shakespeare. „Gut, den Tag so zu beginnen“, sagt der Präsident.
Am Vorabend waren die Obamas von Prinz William und Frau Kate in den Kensington Palast gebeten worden. Ein privates Dinner, krawattenlos, eingangs auch mit einem sehr herzigen Prinz George. Brav wurde der Zweijährige vor seinen begeisterten Eltern auf einem Schaukelpferd abgelichtet, das die Obamas dem Knaben zur Geburt geschenkt hatten.
Schaukelpferd, Shakespeare und Studenten - nach dem politisch unerwartet rauen Freitag, an dem Obama für sein mehr als deutliches Eintreten für einen EU-Verbleib von vielen Briten harsch kritisiert wurde, waren das freundliche Veranstaltungen. Im Anschluss sollte er Labourchef Jeremy Corbyn treffen, am Abend mit Premier David Cameron speisen. Am Sonntagmittag wird der Präsident in Hannover erwartet.