Putins Pfand gegen die Nato
Der Russland-Experte Stefan Meister über Moskaus Absichten.
Berlin. Stefan Meister ist einer der profiliertesten deutschen Russland-Experten. Er beschäftigt sich in der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“ wissenschaftlich mit der Außenpolitik Moskaus und mit dem Verhältnis Russlands zur EU.
Herr Meister, will Wladimir Putin tatsächlich, wie er behauptet, nur die Interessen der Russen auf der Krim und seine Flotte sichern, oder will er Teile der Ukraine besetzen?
Stefan Meister: Es geht nicht um Annexionen, sondern um weiterreichende strategische Fragen. Moskau hat die Sorge, dass die Ukraine sich angesichts der dortigen unkontrollierten Entwicklung sehr schnell Richtung EU und Nato entwickeln könnte. Die Krim soll dagegen eine Art Pfand sein, ein neues Transnistrien oder Abchasien. Das strategische Kalkül ist letztlich, über die Krim die Westintegration der Ukraine zu verhindern.
Der Westen hat immer behauptet, er wolle kein Tauziehen um Einflusssphären mit Russland, sondern Kooperation. Hat man das nicht deutlich genug gemacht?
Meister: Man hat es nicht glaubwürdig genug dargestellt. Fakt ist, dass die Nato sich ständig in den postsowjetischen Raum hinein ausgeweitet hat. Russland hat zudem das Gefühl, dass es immer Angebote gemacht hat, etwa für einen gemeinsamen Energie- oder Wirtschaftsraum, die man im Westen alle nicht ernst genommen hat. Putin denkt, er kann machen, was er will, es wird sowieso alles negativ gesehen. Er glaubt einfach nicht mehr, dass man auf seine Interessen Rücksicht nimmt. Also geht es ihm nur darum, Einflusssphären zu behalten.
Dann muss man wohl befürchten, dass als nächstes in Moldawien und Georgien ähnliche Konflikte ausbrechen.
Meister: Zwar wird Russland alles tun, damit Moldawien und Georgien sich nicht weiter in Richtung Nato und EU integrieren, aber die Ukraine ist ungleich wichtiger. Sie ist für Russland die größte und wichtigste Pufferzone in Richtung Nato und Westen. Und sie ist zentral für die eigenen Integrationsprojekte, die Russland anbietet, die Eurasische Union und die Zollunion.
Also ein neuer Kalter Krieg?
Meister: Das glaube ich nicht, die Welt ist komplexer geworden. Man sieht das ja schon daran, dass gestern die russischen Börsen abgestürzt sind und der Rubel massiv an Wert verloren hat. Außerdem: Es wird für Moskau nicht so leicht sein, seine Peripherie zu kontrollieren. Der Trend ist eigentlich weg von Russland. Wir müssen eher damit rechnen, dass die Zahl der Konflikte rund um Russland und mit Russland wachsen wird.