Schuldig und trotzdem straffrei Rechtspopulist Wilders verurteilt - und doch ist er der Sieger
Geert Wilders steht nicht über dem Gesetz. Eine „Hass-Rede“ bringt ihm seine erste Vorstrafe ein. Ein Urteil mit Folgen. 100 Tage vor der Wahl kann ihm das nur nutzen.
Amsterdam. Knapp 100 Tage vor Parlamentswahlen in den Niederlanden hat der Rechtspopulist Geert Wilders einen wichtigen Sieg verbucht. Das ist die einhellige Analyse von Meinungsforschern und Kommentatoren am Freitag nach dem Urteil eines Amsterdamer Strafgerichts: Schuldig - aber keine Strafe. Der Rechtsaußen der niederländischen Politik kann davon nur profitieren.
Seit Beginn des Prozesses im Oktober war seine „Partei für die Freiheit“ (PVV) in den Umfragen aufgestiegen. Nach einem deutlichen Abwärtstrend in den Wochen zuvor steht die PVV nun unbestritten auf Platz eins bei allen Umfragen. Wilders könnte bei der Parlamentswahl am 15. März 2017 mehr als 30 der 150 Sitze im Parlament gewinnen - doppelt soviel wie bei der vorigen Wahl 2012.
Der Rechtsaußen mit der charakteristischen blonden Haartolle nutzte das Urteil auch sofort für seinen Wahlkampf und wandte sich an seine Wähler, als „Märtyrer des freien Wortes“, wie es Medien formulieren: „Die Niederlande sind ein krankes Land geworden“, sagte er in dem Video auf Youtube. Die Richter hätten nicht nur ihn verurteilt, sondern „die Meinungsfreiheit von Millionen Niederländern eingeschränkt“.
Konsequenzen für sein Mandat im Parlament hat der Schuldspruch nicht. Der 53-Jährige könnte theoretisch auch mit einer Vorstrafe sogar Ministerpräsident werden. Das scheint zur Zeit zwar politisch ausgeschlossen. Die Chance, dass andere Parteien mit ihm eine Koalition bilden würden, sind gering.
Doch nun wird das Urteil und damit Wilders selbst den Wahlkampf beherrschen und die Polarisierung verstärken. Zahlreiche Politiker und Kommentatoren hatten daher die Anklage gegen den Populisten auch kritisiert. Der politische Streit müsse im Parlament und nicht im Gericht geführt werden. Dem stimmt auch eine Mehrheit der Niederländer zu.
Im März 2014 hatte der Rechtspopulist seine Anhänger gefragt: „Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner in den Niederlanden?“ - „Weniger, weniger“, riefen diese. Daraufhin sagte Wilders. „Dann werden wir das regeln.“ Ist das eine „Hass-Rede“? Die Niederländer sind in den 14 Jahren, die Wilders die politische Bühne beherrscht, weitaus Schlimmeres gewohnt.
Der Schriftsteller Arnold Grünberg erinnerte sie daran. Er zitierte die umstrittene Rede - verändert - in seiner Kolumne in der linksliberalen „De Volkskrant“: „Wollt ihr mehr oder weniger Juden in diesem Land? Weniger? Dann werden wir das regeln.“
Genau diese Parallele hatten damals, im März 2014, viele Niederländer gezogen. Das Entsetzen war im ganzen Land groß. Sogar in Wilders' eigenen Reihen. Zahlreiche Abgeordnete der PVV aus dem Parlament in Den Haag, aus Provinzen und Kommunen hatten Wilders die Gefolgschaft aufgekündigt. Er war zu weit gegangen.
Viele der rund 500 000 Marokkaner fühlen sich seither bedroht und beleidigt. Genau das hatte Wilders beabsichtigt, urteilte das Gericht. Die Rede war nach den klassischen Regeln der Rhetorik aufgebaut und inszeniert. In der Kneipe in Den Haag waren strategisch seine Mitarbeiter aufgestellt, um das Publikum zum Rufen der gewünschten Antwort anzustacheln.
Marokkaner bewerten das Urteil nun gemischt: Einerseits ist es ein positives Signal, dass auch sie vom niederländischen Recht geschützt werden. Doch sie fürchten auch eine zunehmende Popularität Wilders' und einen möglichen Wahlerfolg. Denn wie sagte Wilders in seiner Videobotschaft: „Ich lasse mich nicht mundtot machen.“