Russland: Wut der Mittelschicht wächst

Trotz der Massendemos wird es keinen russischen Frühling geben.

Moskau. So vehement haben die Russen die Wut auf ihre Führung lange nicht herausgeschrien. Schätzungen zufolge sind es 8000 Menschen, die in Moskau gegen das Ergebnis der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl protestierten. Angemeldet hatten die Organisatoren lediglich 400 — so viele kommen sonst zu den Kundgebungen. Medien sprachen von der größten Anti-Regierungsdemonstration in Moskau seit Jahren.

„Russland ohne Putin!“, „Russland wird frei sein!“ — lautstark skandierte die Menge Parolen gegen Regierungschef Wladimir Putin. Doch schon nach zwei Stunden ist die genehmigte Demonstration zu Ende. Einige Hundert wollen unerlaubt zur Zentralen Wahlbehörde marschieren, jetzt kommt es zu Massenfestnahmen. Führende Oppositionelle wie der Blogger Alexej Nawalny und der Politiker Ilja Jaschin erhalten in Schnellverfahren Arreststrafen.

Die Botschaft ist klar: Einen von der Straße herbeigeführten Umsturz — quasi einen Russischen Frühling — will die Führung im Riesenreich nicht zulassen. So lässt die Staatsgewalt demonstrativ mehrere tausend Mitglieder von Sondereinheiten in Moskau zusammenziehen, um erneut angekündigte Proteste im Keim zu ersticken. Die starke Furcht vor der noch immer tief verwurzelten Geheimdienstkultur wie zu Sowjetzeiten schreckt meist ab.

Es sind vor allem gut gebildete junge Leute und Mitglieder der wachsenden Mittelschicht, die von Putin und der politischen Stagnation enttäuscht sind. Den ausgekungelten Rollentausch von Putin und dem amtierenden Kremlchef Dmitri Medwedew halten sie für eine Farce. Doch Massendemonstrationen wie in der arabischen Welt wird es nach Ansicht von Beobachtern nicht geben. In einer Nervenheilanstalt in Moskau hat Putins Partei aber eine Mehrheit. 93 Prozent der abgegebenen Stimmen der Insassen entfielen auf „Einiges Russland“, nur 26 Stimmen auf die gesamte Opposition.