Seehofer normalisiert Beziehungen zu Tschechien
Prag/München (dpa) - Nach jahrzehntelangem Streit um die Vertreibung von Sudetendeutschen haben Bayern und Tschechien die lange Eiszeit an der politischen Spitze überwunden.
Beim ersten offiziellen Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten in Prag seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges traf CSU-Chef Horst Seehofer den tschechischen Regierungschef Petr Necas vor prächtiger historischer Kulisse im Prager Regierungsamt. „Wir wollen jetzt ein neues Kapitel unserer Beziehungen aufschlagen, und dazu haben wir den ersten Schritt getan“, sagte Seehofer anschließend.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 hatten die Beziehungen unter dem Konflikt um die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen gelitten. Eine Normalisierung des Verhältnisses war bislang immer daran gescheitert, dass die CSU-geführten bayerischen Staatsregierungen die Rücknahme der Benes-Dekrete zur Bedingung machten, die Grundlage der Vertreibung von Deutschen und Ungarn aus der damaligen Tschechoslowakei waren.
Seehofer und Necas lösten diesen Streit nicht, räumten ihn aber beiseite. „Was wir nicht vermeiden konnten, sind die unterschiedlichen Ansichten zur Vergangenheit“, sagte Necas. „Wir sind uns einig, dass wir gemeinsam den Blick in die Zukunft richten wollen“, betonte Seehofer. In dem gemeinsamen Kommuniqué wird die Vertreibung nicht erwähnt. „Das war bisher sicher das Sensibelste und Schwierigste in meiner politischen Laufbahn“, sagte Seehofer später bei einer Pressekonferenz in der deutschen Botschaft. „Es ist gelungen, eine stabile Vertrauensgrundlage zu bauen.“ Seehofer lud Necas zu einem Gegenbesuch ein. „Es ist auch ein Ergebnis dieses Besuchs, dass man sich natürlicher begegnet“, sagte der CSU-Chef.
Die zweite langjährige bayerische Bedingung wurde erfüllt: Die Mitreise eines Vertreters der Vertriebenen in der Delegation. Seehofer wurde begleitet von Bernd Posselt, dem Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und CSU-Europapolitiker. Er traf im Rahmen des allgemeinen Delegationstreffens auch mit Necas zusammen. „Ich bin nicht nur zufrieden, ich bin glücklich“, sagte Posselt. „Es ist das erste Mal, dass ich mich nicht nur als Person herzlich aufgenommen fühle, sondern auch als Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe.“
Aktuelles Thema in Tschechien im Zusammenhang mit Bayern ist die bayerische Schleierfahndung - verdachtsunabhängige Personenkontrollen - im Grenzgebiet, von der sich viele Tschechen diskriminiert fühlen. Seehofer schlug deswegen gemeinsame Kontrollen der Polizisten beider Länder vor.
Ansonsten moniert die tschechische Regierung den schleppenden Ausbau der Verkehrsverbindungen auf der deutschen Seite. So gibt es nach wie vor keine schnelle Bahnverbindung von München nach Prag, obwohl die Stadt an der Moldau die nächstgelegene europäische Hauptstadt ist.