Snowden: Deutsche Stellen stecken mit NSA „unter einer Decke“
Berlin (dpa) - Regierung und Opposition sind sich einig: Die Spähaktionen der US-Geheimdienste in Europa müssen offengelegt werden. Vor Beginn der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen von EU und USA an diesem Montag fordert die deutsche Politik Garantien der Amerikaner beim Datenschutz.
Allerdings haben deutsche Behörden nicht nur von den US-Abhöraktivitäten profitiert - dabei sei auch darauf geachtet worden, dass Politiker nicht allzuviele Details kennen, sagte der Enthüller des Skandals, Edward Snowden, laut „Spiegel“ in einem Interview. Der US-Geheimdienst NSA stecke „unter einer Decke mit den Deutschen“.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bestätigte: „Wir als Deutsche haben viele Informationen bekommen.“ Bei einem CDU-Landesparteitag in Bad Salzuflen erinnerte sie am Samstag an die Sauerland-Gruppe, deren Terror-Pläne auch dank Hinweisen von US-Behörden rechtzeitig aufgedeckt wurden. „Das berechtigt aber nicht dazu, dass man sich auch noch gegenseitig die Botschaften verwanzt. Und deshalb sage ich, Abhören geht unter Freunden wirklich nicht“, sagte Merkel.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf das Freihandelsabkommen, er erwarte von den USA „vor Aufnahme der Verhandlungen klare und belastbare Zusicherungen, dass es zu keinen neuen Ausspähaktionen kommt“. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte in der „Rheinischen Post“ mit Blick auf Wirtschaftsspionage, dies auch zu fixieren.
In einem schon vor Wochen geführten Interview berichtete Snowden, der früher Mitarbeiter einer für die NSA tätigen Firma war, die Zusammenarbeit der Geheimdienste auf beiden Seiten des Atlantiks sei so organisiert worden, dass Behörden anderer Länder „ihr politisches Führungspersonal vor dem Backlash (Gegenreaktion) schützen“ konnten. Der US-Chiffrier-Experte Jacob Appelbaum und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras hatten ihre Fragen per verschlüsselter E-Mail gestellt, kurz bevor Snowden Anfang Juni die allumfassende Datensammlung der US-Geheimdienste veröffentlichte. Der „Spiegel“ veröffentlichte jetzt die Antworten.
„Wir warnen die anderen, wenn jemand, den wir packen wollen, einen ihrer Flughäfen benutzt - und die liefern ihn uns dann aus“, schilderte Snowden das gängige Vorgehen, wenn auf Grundlage einer Ausspähung ein Verdächtiger festgenommen werden sollte. „Die anderen Behörden fragen uns nicht, woher wir die Hinweise haben, und wir fragen sie nach nichts.“ So müssten auch Politiker keine Verantwortung übernehmen, falls herauskomme, wie „massiv die Privatsphäre von Menschen missachtet wird“.
Die US-Regierung hat bislang dem Verdacht nicht widersprochen, dass der Geheimdienst NSA mit seinem Spähprogramm „Prism“ in großem Stil Kommunikation per E-Mail und Telefon auch in Deutschland überwacht hat. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will sich mit Regierungsbeamten und Geheimdienstvertretern in Washington um Aufklärung bemühen; die Gespräche sollen am Mittwoch beginnen.
Die FDP stellt in einem am Wochenende veröffentlichten Datenschutz-Programm die geltenden Abkommen mit den USA zur Weitergabe von Fluggastdaten oder zum Zugriff auf bestimmte Bankdaten in Frage. Die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus rechtfertige nicht die Totalüberwachung von Millionen unbescholtener Bürger, hieß es zur Begründung.
Das deutsch-amerikanische Verhältnis hat nach Ansicht von fast zwei Dritteln der Deutschen (63 Prozent) durch die Spähaktivitäten der USA gelitten. Das ergab eine Emnid-Umfrage für den „Focus“. Zugleich gaben 56 Prozent der Befragten an, sie befürchteten nicht, dass ihre E-Mails oder Telefonate durch die Geheimdienste der USA und Großbritanniens abgehört werden oder worden sind.