Spannungen an türkisch-syrischer Grenze
Damaskus/Istanbul (dpa) - Das brutale Vorgehen der syrischen Armee gegen die eigene Bevölkerung in der Nordprovinz Idlib hat Spannungen an der Grenze zur Türkei ausgelöst.
Türkische Grenzsoldaten legten Kampfausrüstung und Helme an, als syrisches Militär an die Grenze vorrückte, berichteten Augenzeugen am Freitag. Im Inneren Syriens erschossen die Sicherheitskräfte bei mehreren Protestkundgebung insgesamt neun Menschen, die gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad demonstrierten.
Eine neue Flüchtlingswelle erreichte die syrischen Vertriebenenlager im türkischen Grenzgebiet. Am Donnerstag seien insgesamt 1600 neue Flüchtlinge registriert worden, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Damit sind nun mehr als 11 700 Menschen vor der Gewalt in Syrien in die benachbarte Türkei geflüchtet.
Syrische Truppen waren am Donnerstag in den Weiler Chirbet al-Dschoos vorgestoßen, der nur einige hundert Meter von der Grenze zur Türkei entfernt liegt. Dort hatten Hunderte Syrer unter freiem Himmel gelagert, die durch frühere Razzien der syrischen Sicherheitskräfte aus ihren Städten und Dörfern vertrieben worden waren. Polizei und Geheimdienst im Schlepptau der Armee machen in der Provinz Idlib Jagd auf mutmaßliche Aufständische und Regimegegner.
Ein syrischer Aktivist sagte der Nachrichtenagentur dpa in Istanbul telefonisch, in Chirbet al-Dschoos seien 14 ältere Menschen, die nicht flüchten wollten oder konnten, festgenommen worden. Auf den Dächern der Häuser seien Heckenschützen postiert, sagte er unter Berufung auf Flüchtlinge weiter. Das syrische Staatsfernsehen zeigte wiederum Bilder von angeblichen Rückkehrern, die sich in ihren Behausungen einrichteten. Die Aufnahmen wirkten gestellt.
US-Außenministerin Hillary Clinton warnte angesichts dieser Entwicklungen vor einer Ausweitung der Krise. Die Gefahr potenzieller Grenzzwischenfälle steige, „wenn die syrischen Truppen nicht sofort ihre Angriffe und Provokationen einstellen“, sagte Clinton am Donnerstag (Ortszeit) in Washington. „Diese aggressive Aktion wird nur die ohnehin instabile Lage der Flüchtlinge in Syrien weiter verschlimmern.“
Die Staats- und Regierungschefs der EU verurteilten am Freitag die „unannehmbare und schockierende Gewalt“ der syrischen Regierung von Präsident Assad gegen die eigenen Bürger. Während des Gipfeltreffens verschärfte die EU die Sanktionen gegen das syrische Regime. Die Liste von Personen, die Einreiseverbot bekamen und deren Vermögenswerte in der EU eingefroren wurden, wurde um sieben auf 30 erweitert.
In Syrien demonstrieren seit mehr als drei Monaten Hunderttausende Bürger für politische Reformen und für einen Regimewechsel. Die Führung in Damaskus entzog sich den Forderungen mit vagen Versprechungen und ließ ihre Sicherheitskräfte mit Schusswaffen auf die Demonstranten losgehen. 1300 Protestierende und 300 Armee- und Polizeiangehörige kamen nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten bisher ums Leben.
Nach dem Mittagsgebet demonstrierten am Freitag wieder in ganz Syrien Zehntausende Menschen gegen das Assad-Regime. In einigen Orten schossen die Sicherheitskräfte auf die friedlich demonstrierende Menge. In der nördlichen Großstadt Homs starben dabei drei Menschen, in den Vorstädten von Damaskus, Kiswa und Barza, fünf beziehungsweise einer, berichteten Aktivisten.