Spannungen in Südamerika nach Rousseff-Absetzung

Brasília (dpa) - Nach der umstrittenen Absetzung von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ist es zu Spannungen mit mehreren südamerikanischen Staaten gekommen. Der Botschafter in Venezuela wurde zu Konsultationen zurück nach Brasilien berufen, teilte das Außenministerium mit.

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Zudem verbat man sich die Einmischung in innere Angelegenheiten von Seiten Kubas, Boliviens und Ecuadors. Die von linksgerichteten Regierungen geführten Staaten hatten den Akt als politischen Putsch eingestuft.

Das sozialistische Venezuela will die Beziehungen zu Brasilien, beide Mitglied im Wirtschaftsbund Mercosur, vorerst auf Eis legen. Ecuador und Bolivien kündigten ebenfalls an, ihre Geschäftsträger beziehungsweise Botschafter vorerst zurückzurufen. Die kubanische Regierung bezeichnete die Absetzung als einen „richterlich-parlamentarischen Staatsstreich“.

Nach einem monatelangen Machtkampf war Rousseff am Mittwoch des Amtes enthoben worden. Der Senat in Brasília votierte mit der notwendigen Zwei-Drittel- Mehrheit für die Absetzung der ersten Frau an der Spitze des fünftgrößten Landes der Welt. 61 Senatoren stimmten dafür und 20 dagegen. Nachfolger wird der bisherige Vizepräsident Michel Temer (75) von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), der das Land mit einer liberal-konservativen Regierung nun bis zur nächsten Wahl Ende 2018 führen wird. Er hatte das Land nach Rousseffs Suspendierung zur Prüfung von Vorwürfen wie Haushaltstricksereien und unerlaubte Kreditvergaben seit Mai bereits interimsweise geführt.

Er gilt als Mann der konservativen Eliten und hatte ein Kabinett gebildet, das nur aus weißen Männern bestand. Temer ist umstritten: Zum einen lasten Korruptionsvorwürfe auf ihm, zudem würde er bei Wahlen nur auf weniger als fünf Prozent kommen, hätte also keine Chance, über den normalen Weg an die Macht zu kommen. Aber er dürfte nach einem Urteil wegen illegaler Wahlkampfspenden ohnehin nicht antreten, ihm wurde für acht Jahre untersagt, bei Wahlen anzutreten.

Er kann aber bis zum Ende der Amtszeit 2018 auch unpopuläre Maßnahmen durchsetzen. Eine Mehrheit der Brasilianer unterstützt laut Umfragen auch seine Amtsenthebung. Schon während der Olympischen Spiele kam es in Stadien immer wieder zu „Temer Raus“-Protesten.

Er und die PMDB hatten die Koalition mit der seit 2003 regierenden linken Arbeiterpartei aufgekündigt und durch einen Pakt mit Oppositionsparteien die notwendigen Mehrheiten für die Suspendierung und die nun erfolgte Absetzung Rousseffs in dem Impeachment-Verfahren zustande gebracht. Rousseffs sagte nach ihrem Aus als Präsidentin: „Das ist ein parlamentarischer Putsch, mit Hilfe einer juristischen Farce“. 61 Senatoren würden sie aus dem Amt drängen, obwohl sie 2014 von 54,5 Millionen Menschen wiedergewählt worden sei.

Eine tiefe Rezession, 11,8 Millionen Arbeitslose und fehlende Rezepte zur Überwindung der Krise hatten den Rückhalt zu ihr aber rapide schwinden lassen. Zudem lähmten Korruptionsskandale das Land und brachten das im Jahr 2003 von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gestartete linke Projekt der Arbeiterpartei in Misskredit.

Zwar wurden im Impeachment-Verfahren alle verfassungsgemäßen Schritte eingehalten - aber die Stichhaltigkeit der Vorwürfe, ob es wirklich kriminelle Handlungen sind, ist umstritten. Am Ende wird wohl der Oberste Gerichtshof das letzte Wort haben. „Das ist der zweite Staatsstreich, den ich in meinem Leben erleben muss“, meinte Rousseff in Anspielung auf den Militärputsch 1964 - sie agierte damals als Guerillakämpferin im Untergrund, kam in Haft und wurde gefoltert.

Temer betonte nach der Amtsübernahme mit Blick auf Rousseff und ihre Anhänger: „Ihr seid Putschisten, weil Ihr gegen die Verfassung seid“. Er reiste nach Vollzug des Wechsels zum G20-Gifel nach China. In São Paulo kam es zu Ausschreitungen von Rousseff-Anhängern, Polizeiautos wurden beschädigt, Scheiben von Bankfillialen gingen zu Bruch.

Temer will mit Privatisierungen und Kürzungen im Staatsapparat die neuntgrößte Volkswirtschaft aus der Krise führen, eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist im Gespräch, Sozialprogramme könnten gekürzt werden. Die Arbeiterpartei warnt vor einem Comeback des Neoliberalismus - und kündigte eine harte Oppositionsarbeit an.