Syrien-Experte Heiko Wimmen: "Terror nützt dem Regime"
Düsseldorf. Herr Wimmen, in der vergangenen Woche häuften sich die Meldungen von Niederlagen der Opposition. Nun jedoch gab es sogar Gefechte in der Hauptstadt Damaskus. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Wimmen: Das Regime hat offenbar die Schraube zur militärischen Eskalation in mehreren Städten noch um zwei bis drei Dimensionen weitergedreht. Dort hat man die Opposition vertrieben. Aber die Erfahrung der vergangenen Monate lehrt: Immer, wenn irgendwo der Aufruhr niedergeschlagen wird, flammt er an anderer Stelle wieder auf. Nun in Mezze, einem Stadtteil der Hauptstadt, der sehr nah an den Schaltstellen des Regimes liegt. Das entfaltet vielleicht auch eine psychologische Wirkung, wenn diejenigen den Gefechtslärm hören können, die das Regime stützen.
Am Wochenende erschütterte eine Anschlagsserie das Land. Steckt die Opposition dahinter, Al Kaida oder gar das Regime selbst?
Wimmen: Dass die Aufständischen dahinter stecken ist sehr unwahrscheinlich. Es entspricht weder ihren technischen Kapazitäten noch ihrer Strategie. Sie wissen, dass ihnen diese Anschläge eher schaden. Die Durchführung deutet tatsächlich eher auf Al Kaida hin — oder jemanden, der genau diesen Eindruck erwecken will. Die Anschläge spielen in jedem Fall dem Regime in die Hände. Es behauptet ja seit eh und je, gegen Terroristen zu kämpfen. Da liegt der Verdacht nahe, dass solche Anschläge inszeniert werden. Aber mit Sicherheit sagen kann das niemand.
Warum sperren sich Russland und China gegen ein härteres Vorgehen im UN-Sicherheitsrat?
Wimmen: Es geht um eine ganze Reihe handfester Interessen. Da gibt es zum einen eine russische Militärbasis an der syrischen Mittelmeerküste und Handelsinteressen. Dann grundsätzlich das Bedürfnis beider Staaten, auf internationalem Parkett ernst genommen zu werden. Und sie sind gegen das Grundprinzip, humanitäre Normen über die staatliche Souveränität zu stellen. China und Russland haben ja selbst jede Menge Leichen im Keller, ich erinnere nur an Tibet und Tschetschenien.
Spielen auch die Erfahrungen aus Libyen eine Rolle, wo der Einsatzauftrag sehr weit ausgelegt wurde? Ursprünglich sollte ja nur die Bevölkerung vor Luftangriffen geschützt werden.
Wimmen: Ich glaube, diese Erfahrung ist für Russland und China ein willkommener Vorwand. Aber man sollte schon über Folgendes nachdenken: Wenn man die Verantwortung für den Schutz der Zivilbevölkerung zur Parteinahme nutzt, führt das im Einzelfall vielleicht zum gewünschten Erfolg — das Prinzip insgesamt wird aber beschädigt. Man serviert Russland und China Argumente, beim nächsten Mal einem Einsatz nicht zuzustimmen.
Wäre ein militärisches Eingreifen in Syrien denn denkbar und erfolgversprechend?
Wimmen: Derzeit ist niemand dazu bereit und es ist auch niemand dafür vorbereitet. In Libyen gab es Rebellen mit handlungsfähigen militärischen Strukturen und befreite Gebiete, so dass Luftunterstützung und Ausrüstung mit Waffen ausreichte. Eine einheitliche militärische Kraft gibt es in Syrien in der Form nicht. Man bräuchte also eine Interventionsarmee am Boden, und daran hat niemand ein Interesse.
Könnte sich das noch ändern?
Wimmen: Eventuell, wenn das Land komplett in Anarchie versinken sollte. Bekämen wir dort einen Fall wie Somalia, einen Staat in Auflösung mit unkalkulierbaren Gefahren für die gesamte Region, wäre das eine andere Situation. Dann könnte der Druck auf die Weltgemeinschaft so stark steigen, dass sie doch militärisch eingreift.
Was halten Sie von den durch Assad angekündigten Wahlen?
Wimmen: Die können Sie vergessen. Dieses Parlament war in der Vergangenheit nicht viel Wert, und wird auch mit der neuen Verfassung nicht viel wert sein. Dort ist alles auf den Präsidenten zugeschnitten. Selbst wenn es eine regierungskritische Mehrheit im Parlament gäbe, was ausgeschlossen ist, hätte es gar nicht die Möglichkeit, die Regierung zu kontrollieren.
Assad sitzt also fest im Sattel?
Wimmen: Im Moment deutet viel darauf hin, dass Assad dem Beispiel seines Vaters aus den 1980ern folgt: Man schlägt den Aufstand brutal nieder, die Reste der Opposition gehen in den Untergund und kämpfen von dort aus weiter. Das Regime reagiert mit noch mehr Repression und Überwachung. Ich war in diesem bleiernen Jahrzehnt damals selbst ein knappes Jahr in Syrien Das war um 1990 und es herrschte eine furchtbare Atmosphäre. Aber es gibt einen Unterschied: Damals konnten Sie in Syrien keinerlei ausländische Medien empfangen — das funktioniert im Zeitalter des Internets nicht mehr.