Timoschenko-Telefonat bringt neuen Zündstoff in Krim-Krise
Kiew/Moskau (dpa) - Inmitten des Krim-Konflikts droht ein offenbar abgehörtes Telefonat die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland weiter zu belasten.
In einem beim Internet-Videoportal Youtube veröffentlichten Mitschnitt stieß die ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko Todesdrohungen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin aus. Die Politikerin bestätigte beim Kurznachrichtendienst Twitter die Echtheit von Teilen des Mitschnitts. Die Krise um die abtrünnige Schwarzmeerhalbinsel löst derweil in der ukrainischen Regierung schwere Zerwürfnisse aus. Verteidigungsminister Igor Tenjuch zog sich am Dienstag zurück.
Timoschenke schimpft in dem bei Youtube aufgetauchten Telefonat über Putin: „Ich bin selbst bereit, eine Kalaschnikow in die Hand zu nehmen und dem Dreckskerl in den Kopf zu schießen.“ In ihrem Telefonat mit einem Politiker der prorussischen Partei der Regionen droht sie weiter: „Ich werde die ganze Welt (gegen Russland) erheben, sobald ich es kann, damit - verdammt - von Russland nicht einmal ein verbranntes Feld übrig bleibt.“
Timoschenko bestätigte den Mitschnitt in weiten Teilen, Passagen wurden nach ihrer Aussage aber verändert. Putins Sprecher Dmitri Peskow wollte den Vorfall zunächst nicht kommentieren. In Moskau forderte die Kommunistische Partei die russische Ermittlungsbehörde auf, ein Verfahren gegen Timoschenko zu prüfen.
Timoschenkos Kandidatur bei der Präsidentenwahl am 25. Mai gilt als wahrscheinlich. Kritiker schlossen nicht aus, dass der Mitschnitt ein Teil ihrer Wahlkampagne ist, um Sympathiepunkte im antirussisch geprägten Westen des Landes zu sammeln.
Neben diesen Turbulenzen und der ohnehin fortdauernden Krim-Krise erschweren interne Konflikte, Gesetzlosigkeit und der große Einfluss ultranationalistischer Kräfte die Arbeit der Regierung um Ministerpräsident Arseni Jazenjuk. Nach scharfer Kritik an mangelnden Befehlen für die Truppen auf der Schwarzmeerhalbinsel trat der kommissarische Verteidigungsminister Tenjuch zurück. Als Nachfolger wählte das Parlament in Kiew den Generaloberst Michail Kowal. Einen von Interimspräsident Alexander Turtschinow angebotenen Rücktritt lehnten die Abgeordneten ab.
Für Unruhe sorgte auch ein Vorfall in der westukrainischen Stadt Rowno. Dort wurde bei einem Polizeieinsatz Alexander Musytschko erschossen, ein führendes Mitglied des militanten Rechten Sektors. Die einflussreiche Gruppe kündigte Rache an.
Unterdessen betonte US-Präsident Barack Obama die Entschlossenheit der USA und Europas zu Wirtschaftssanktionen gegen Russland. „Sollte Russland noch weiter gehen, dann wären solche Sanktionen angemessen“, sagte er vor Journalisten beim Atomgipfel in Den Haag. Zudem bekräftigte er die Beistandsgarantie der Nato für die Bündnismitglieder in unmittelbarer Nähe zu Russland. Diese sei ein Eckpfeiler der Sicherheit aller Nato-Mitglieder. Zugleich sagte er, er rechne nicht damit, dass das auf der Krim stationierte russische Militär gewaltsam vertrieben werden könne.
Die Krim-Krise hatte den Atomgipfel in Den Haag überschattet. In der niederländischen Stadt sagten die sieben führenden Industrienationen (G7) etwa den G8-Gipfel in Russland ab. Putins Sprecher Peskow betonte die Bereitschaft Russlands, weiter mit dem Westen zusammenzuarbeiten. „Wir sind interessiert an diesen Kontakten“, sagte er der Agentur Interfax zufolge. Die Weigerung der G7 zu einer Kooperation mit Russland sei „kontraproduktiv“.
Die G7 werfen Moskau eine Annexion der völkerrechtlich zur Ukraine gehörenden Krim vor und legten deshalb die Zusammenarbeit in der G8 mit Russland auf Eis. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Den Haag: „Die Tatsache, dass Russland als Staat, der sich für die Sicherheit der territorialen Integrität in ganz besonderer Weise der Ukraine gegenüber verpflichtet hat, diese territoriale Integrität jetzt so verletzt hat, ist sicherlich international ein sehr schlechtes Beispiel.“
Wegen der Krim-Krise wenden sich auch Investoren von Russland ab. Der Kreml rechnet mit massiven Kapitalabflüssen. Vizewirtschaftsminister Andrej Klepach erwartet einem Bericht der „Financial Times“ (Dienstag) zufolge, dass im ersten Quartal bis zu 70 Milliarden US-Dollar (51 Mrd Euro) abgezogen wurden. Das würde bedeuten, dass innerhalb von drei Monaten mehr Geld das Land verlassen hätte als im gesamten letzten Jahr.
Die Möglichkeit verschärfter wirtschaftlicher Sanktionen gegen Moskau verunsichere Investoren derzeit am stärksten, sagte der Experte Chris Weafer von der Moskauer Beratungsfirma Macro Advisory der „Financial Times“. Das russische Finanzministerium begründete in einer auf der Internetseite veröffentlichten Mitteilung die erneute Absage einer Auktion von Staatsanleihen mit „unvorteilhaften Marktbedingungen“. Der massive Kapitalabzug aus Russland treibt die Zinsen in die Höhe. Ökonomen warnten indes vor der Verhängung umfassender Strafmaßnahmen gegen Moskau.