Großbritannien Trotz Flug-Stopp: London hält an Abschiebungs-Plan fest

London · Für illegal nach Großbritannien Eingereiste soll es künftig vielfach heißen: Endstation Ruanda. Doch ausgerechnet ein europäisches Gericht macht der Londoner Regierung vorerst einen Strich durch die Rechnung.

Bei dieser Boeing 767 soll es sich um die Maschine handeln, welche Asylsuchende von Großbritannien nach Ruanda bringen sollte.

Trotz einer Aufsehen erregenden Niederlage vor Gericht will die britische Regierung an ihrem umstrittenen Plan festhalten, Asylsuchende verschiedener Nationalitäten nach Ruanda auszufliegen.

„Wir lassen uns nicht davon abschrecken, das Richtige zu tun und die Grenzen unserer Nation zu schützen“, sagte Innenministerin Priti Patel, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit einer seltenen Intervention die Pläne ihrer Regierung zunächst durchkreuzt hatte. Man arbeite nun bereits daran, den nächsten Flug vorzubereiten, ergänzte Patel.

„Ich bin enttäuscht, dass Klagen und Rechtsstreits in letzter Minute dafür gesorgt haben, dass der heutige Flug nicht abheben konnte“, sagte die Politikerin. Es sei sehr überraschend, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich eingeschaltet habe, nachdem britische Gerichte zuvor anders entschieden hätten.

Abschreckende Maßnahme

Der erste geplante Abschiebeflug nach Ruanda war kurz vor der Abreise gerichtlich gestoppt worden. London hatte mit dem Flug seinen umstrittene Ruanda-Pakt einläuten wollen, mit dem die konservative Regierung weitere Schutzsuchende von der Einreise ins Vereinigte Königreich abschrecken will. Die Vereinbarung sieht vor, dass Schutzsuchende, die illegal nach Großbritannien gelangt sind, unabhängig von ihrer Nationalität oder Herkunft in das ostafrikanische Land gebracht werden und dort gegen Zahlungen der britischen Regierung die Möglichkeit für einen Asylantrag erhalten. Selbst wenn sie dort als Flüchtlinge anerkannt werden, soll es in keinem Fall eine Rückkehr nach Großbritannien geben.

Die Vereinten Nationen und viele andere Organisationen sehen darin einen Bruch internationalen Rechts und einen gefährlichen Präzedenzfall. Sogar der zur politischen Neutralität verpflichtete Thronfolger Prinz Charles soll sich Medienberichten zufolge „entsetzt“ über den Plan geäußert haben.

Erfolgreiche Einzelklagen

Von britischen Gerichten gab es für den Flug zwar grundsätzlich grünes Licht, allerdings waren viele Einzelklagen erfolgreich, weshalb die Zahl der für Dienstagabend eingeplanten Passagiere in den Tagen zuvor immer kleiner wurde. In den Stunden vor dem geplanten Abflug sorgte die außergewöhnliche Intervention des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg dann dafür, dass die Zahl der Ausreisenden schließlich auf null sank und der Flug komplett gestrichen wurde.

Die Entscheidung des Straßburger Gerichts löste gewissermaßen eine Kettenreaktion aus: Die verbleibenden Betroffenen konnten sich auf die Entscheidung berufen und auch ihre eigene Ausreise zunächst erfolgreich verhindern. In gerade einmal gut einer Stunde sei der Plan für den ersten Ruanda-Flug „wie ein Kartenhaus“ in sich zusammengefallen, kommentierte der BBC-Korrespondent Dominic Casciani nach der Entscheidung.

Seltene Intervention

Straßburg hatte die britischen Behörden in einer sogenannten einstweiligen Maßnahme aufgefordert, einen irakischen Asylsuchenden, der ursprünglich an Bord sein sollte, frühestens drei Wochen nach einer finalen Entscheidung in seinem in Großbritannien laufenden Verfahren außer Landes zu bringen. Einstweilige Maßnahmen sind dem Gericht zufolge verbindlich und werden nur selten und bei unmittelbarer Gefahr eines irreparablen Schadens ausgesprochen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gehört zum Europarat. Gemeinsam setzen sich die von der Europäischen Union unabhängigen Organe für den Schutz der Menschenrechte in den 46 Mitgliedstaaten ein.

Bislang hat das Straßburger Gericht auch in Großbritannien in solchen Fragen das letzte Wort. Die jüngste Entscheidung dürfte die Debatte befeuern, ob dies so bleiben soll. Danach gefragt, deutete Premierminister Boris Johnson in einem Interview an, dass Änderungen nicht auszuschließen seien.

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(dpa)