Humanitäre Lage spitzt sich zu Türkei kesselt Kurden im syrischen Afrin ein
Damaskus (dpa) - Knapp zwei Monate nach Beginn ihrer Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien haben die türkischen Streitkräfte die Stadt Afrin eingekesselt. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete unter Berufung auf die Armee, der Belagerungsring sei bereits am Vortag geschlossen worden.
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, mehr als 300.000 Menschen seien nun in der Region eingeschlossen. Im Zentrum Syriens verließ nach der bislang schlimmsten Angriffswelle der syrischen Regierungstruppen erstmals eine größere Zahl von Zivilisten das Rebellengebiet Ost-Ghuta. Mehr als 150 Menschen wurden in die benachbarte Hauptstadt Damaskus gebracht, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und regierungstreue Medien meldeten. Fernsehbilder zeigten vor allem Alte, Frauen, Kinder und Verletzte, die dringend behandelt werden müssen.
Auch in Afrin hat sich die humanitäre Lage in den vergangenen Wochen immer mehr zugespitzt. Bereits in den vergangenen Tagen waren nach Angaben der Menschenrechtsbeobachter Tausende vor der türkischen Offensive geflohen. Die humanitäre Lage sei auch schwierig, weil die Strom- und Wasserversorgung in Afrin unterbrochen sei.
Die türkischen Streitkräfte und syrische Verbündete hatten am 20. Januar die „Operation Olivenzweig“ gegen die YPG begonnen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte angekündigt, Afrin-Stadt zu belagern. Als Grund hatte er gesagt: „Auf diese Weise wird die Hilfe von außen blockiert und die Terrororganisation wird nicht mehr die Möglichkeit haben, mit jemandem einen Handel einzugehen.“
Die türkische Regierung stuft die YPG wegen ihrer Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK als Terrororganisation ein. Ankara argumentiert, dass die „Operation Olivenzweig“ nicht gegen internationales Recht verstoße. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte zuletzt allerdings Zweifel daran geäußert.
Im Rebellengebiet Ost-Ghuta im Zentrum Syriens sind rund 400.000 Menschen von den Regierungstruppen eingeschlossen. Wegen der Kämpfe und Blockade ist die humanitäre Lage dort ebenfalls katastrophal.
Syrische Regierungskräfte hatten vor mehr als drei Wochen eine Offensive auf Ost-Ghuta begonnen. Sie konnten mehr als die Hälfte der Region einnehmen. Die verbliebenen Rebellengebiete sind in drei Teile aufgespalten. Seit Beginn der Offensive sind nach Angaben von Aktivisten rund 1200 Menschen durch Luftangriffe und Artillerie ums Leben gekommen. Die UN hatten am Montag gefordert, mehr als 1000 Kranke und Verletzte so schnell wie möglich aus Ost-Ghuta zu bringen.
Aus syrischen Armeekreisen hieß es, Kranke und Verletzte aus dem Ort Duma in Ost-Ghuta sollten in Damaskus behandelt werden. Syriens Verbündeter Russland habe sich mit den beiden führenden Rebellengruppen Dschaisch al-Islam und Failak al-Rahman auf den Abtransport geeinigt. Rebellen erklärten, die Einigung sei über die Vereinten Nationen erzielt worden. Ein Sprecher von Dschaisch al-Islam kündigte zugleich an, der Kampf in Ost-Ghuta gehe weiter.
Bilder des regierungstreuen Senders Al-Ikhbaria zeigten, wie Busse die Menschen aus dem Gebiet brachten. Aus den Fahrzeugen stiegen Alte, Frauen, Kinder und Verletzte. Mitarbeiter des syrischen Roten Halbmonds nahmen die Menschen in Empfang. Russland hat für Ost-Ghuta eine tägliche fünfstündige Waffenruhe angekündigt. In den vergangenen Tagen hatten trotzdem nur vereinzelt Menschen das Gebiet verlassen. Auch Hilfslieferungen kamen bisher kaum hinein.
Die Vizechefin des UN-Nothilfebüros (Ocha), Kate Gilmore, erklärte in Genf, die Menschheit versage in Syrien. Allein in Ost-Ghuta lebten 125.000 Kinder seit Jahren unter Belagerung, würden permanent bombardiert und seien schwer traumatisiert. „Die Zeit der Hoffnung ist vorüber“, sagte sie. Niemand werde aber ungestraft davon kommen. „Wir schauen nicht tatenlos zu.“ Verantwortliche für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit würden identifiziert und Beweise gesammelt. Ein Tribunal werde sie zur Rechenschaft ziehen.