Ultimatum für Gaddafis letzte Hochburgen
Bengasi/Brüssel/Istanbul (dpa) - Nach neuen Nato-Luftangriffen auf Militäreinrichtungen in Libyen hat der Übergangsrat den Truppen von Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi ein Ultimatum bis Samstag gestellt.
„Länger können wir nicht warten“, sagte der Chef des Rates, Mustafa Abdul Dschalil, am Dienstag in Bengasi. Um ein Blutvergießen zu vermeiden, sollten sie Gaddafis Heimatstadt Sirte friedlich übergeben. „Wir können die Situation militärisch lösen, aber das wollen wir nicht“, sagte Dschalil. Auch in den wenigen anderen verbliebenen Hochburgen sollten sich die letzten Gaddafi-Getreuen ergeben.
Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen den Aufständischen in Libyen und dem Nachbarland Algerien haben sich weiter verschlechtert. Der Übergangsrat forderte, dass Algerien die Ehefrau Gaddafis sowie drei Kinder des Ex-Diktators ausliefert. Deren Flucht aus Libyen war am Vortag offiziell bestätigt worden. Der gestürzte Machthaber blieb weiter verschwunden.
Am Dienstag hielten Kämpfer der ehemaligen Regierungstruppen noch Sirte sowie die Wüstenstadt Sebha im Zentrum des Landes. Seit Tagen versuchen die Rebellen, unter Vermittlung von Stammesältesten beide Gaddafi-Hochburgen zur Aufgabe zu bewegen. Ziel ist es, ein Blutvergießen sowie die Zerstörung der Städte zu vermeiden.
Nato-Kampfflugzeuge nahmen die letzten Hochburgen Gaddafis erneut unter Beschuss. Zahlreiche Militäreinrichtungen in Sirte und in Bani Walid seien Ziel von Angriffen gewesen, teilte die Nato mit. Insgesamt seien 42 Kampfeinsätze geflogen worden. Bani Walid - etwa 100 Kilometer südöstlich von Tripolis - gilt als eines der möglichen Verstecke Gaddafis.
Der Militäreinsatz der Nato in Libyen steht nach fünf Monaten Dauer vor seinem Ende. „Der Einsatz wird so lange wie nötig dauern, aber keinen Tag länger“, sagte Bündnissprecherin Oana Lungescu am Dienstag in Brüssel. „Es sieht so aus, als seien wir fast so weit, aber wir sind noch nicht ganz da.“ Sie bekräftigte, die Nato habe keine Absicht, nach dem Ende des Militäreinsatzes Bodentruppen nach Libyen zu schicken.
Frankreichs Außenminister Alain Juppé brachte unterdessen eine Beobachtermission ins Gespräch, an der sich auch Deutschland beteiligen sollte. Dabei gehe es nicht um militärische Hilfe, sagte Juppé der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Mittwoch). Frankreich „wäre froh darüber“, wenn Deutschland sich an einer solchen Beobachtermission beteilige. „Es braucht eine Wiederaufbautruppe, aber keine Interventionstruppe“, sagte Juppé.
Die Aufnahme der zweiten Ehefrau Gaddafis sowie von drei Kindern in Algerien sei ein „Akt der Aggression“, sagte Mahmud Schammam, der Informationsminister der Übergangsregierung. Er warnte Algerien, auch Gaddafi Unterschlupf zu gewähren. Jeder, der dies versuche, sei ein „Feind des libyschen Volkes“. Der Übergangsrat will die Gaddafi-Familie in Libyen vor Gericht stellen.
Gaddafis Frau Safija, die Söhne Hannibal und Mohammed sowie die hochschwangere Tochter Aischa waren nach Angaben des algerischen Außenministeriums am Montag in Algerien eingetroffen. Über den Aufenthaltsort Gaddafis gibt es weiterhin keine gesicherten Erkenntnisse.
Gaddafis Sohn Chamis, der eine Eliteeinheit seines Vaters gegen die Rebellen kommandierte, soll nach übereinstimmenden Berichten erschossen worden sein. Die Nato hat dazu keine eigenen Erkenntnisse. Berichte über den Tod von Chamis würden von der Nato derzeit als „Gerüchte“ betrachtet, sagte Militärsprecher Roland Lavoie.
US-Außenministerin Hillary Clinton sicherte dem Übergangsrat der Aufständischen „schnelle und entschlossene“ Hilfe der USA und ihrer Partner zu. „Die kommenden Tage und Wochen werden für das libysche Volk entscheidend sein“, teilte Sprecherin Victoria Nuland am Dienstag in Washington mit.
Clinton werde zu einem Treffen der Libyen-Kontaktgruppe an diesem Donnerstag in Paris reisen, zu der sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt hat. Ziel der Beratungen sei es, die finanzielle und politische Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für den Übergangsrat weiter abzustimmen.
Unterdessen nahm auch die iranische Führung erstmals Kontakt zum Übergangsrat auf. Der von Aufständischen, Stammesältesten und Oppositionspolitikern gegründete Rat wird inzwischen von mehr als 50 Staaten als rechtmäßiger Vertreter des libyschen Volkes anerkannt.