UN: Im Jemen droht eine Hungerkatastrophe
Im beinahe schon wieder vergessenen Krieg am Horn warnen die Vereinten Nationen: Alleine 850.000 Kinder leiden inzwischen an Unterernährung.
Aden. Die Zahl der unterernährten Kinder könnte in den nächsten Wochen auf 1,2 Millionen steigen, wenn der Konflikt zwischen Huthi-Rebellen und regierungstreuen Truppen weitergeht, so Hilal Elver, UN-Berichterstatterin für das Recht auf Ernährung. Vor allem Ausgangssperren schnitten die Bevölkerung von Versorgungsmöglichkeiten ab. Laut Elver sollen bereits 13 Millionen Menschen im Jemen — das entspricht der Hälfte der Bevölkerung — keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln mehr haben. Zwar drängen die Truppen der von Saudi-Arabien geführten Militär-Koalition nach Einschätzung der Vereinten Nationen die Huthi-Rebellen inzwischen erfolgreich zurück. Doch weder der Kampf um den Jemen noch die humanitäre Katastrophe seien ausgestanden.
Bei Gefechten in Taizz, der im Süden gelegenen mit rund 450.000 Einwohnern drittgrößten Stadt des Landes, sollen Huthi-Rebellen nach Regierungsangaben mit Granatfeuer am Donnerstag sechs Zivilisten getötet haben. Regierungstreue Truppen sollen auf die von den Huthis besetzte Stadt vorrücken. Auch in der Hauptstadt Sanaa werde um Stadtviertel gekämpft, die noch von den Rebellen gehalten würden, hieß es am Freitag weiter.
Anfang soll die Militär-Koalition die Militärbasis Al-Anad 50 Kilometer nördlich von Aden zurückerorbert haben. Mit ihrem Verlust Mitte März war der Krieg im Jemen eskaliert. Formal hatten die Truppen von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi den strategisch wertvollen Stützpunkt an die schiitischen Huthi-Rebellen verloren. Faktisch war es jedoch dem Terrornetzwerk Al-Qaida gelungen, die US-Armee aus dem Jemen zu verjagen. Das US-Militär nutzte Al-Anad über Jahre, um von dort aus Drohnenangriffe im Anti-Terror-Kampf zu steuern. Das State Department bezeichnete die peinliche Niederlage als „temporäre Verlagerung“ der rund 100 US-Soldaten, die dort auch Sicherheitskräfte von Präsident Hadi ausbildeten.
Nach dem Fall von Al-Anad im März war der Krieg im Jemen zu einer internationalen Auseinandersetzung mit Luftangriffen Saudi-Arabiens eskaliert. Im September 2014 hatte aufständische Huthis die Hauptstadt Sanaa eingenommen und nach und nach die staatlichen Einrichtungen unter ihre Kontrolle gebracht. Schließlich lösten sie das Parlament auf, worauf der lediglich als Übergangspräsident gedacht Abd Rabbo Mansur Hadi nach Aden floh. Zwischenzeitlich geriet jedoch auch die Hafenstadt unter Kontrolle der Rebellen.
Im Jemen, der kaum noch als Staat existiert, kämpft jeder gegen jeden. Der jemenitische Arm von Al-Qaida, der nicht erst seit dem Anschlag auf das französische Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ als der gefährlichste des Terrornetzwerks gilt, beherrscht ganze Landstriche im Jemen. Aber selbst er bekommt inzwischen Konkurrenz von den Terror-Truppen des „Islamischen Staat“. Saudi-Arabien auf sunnitischer und der Iran auf der schiitischen Seiten führen im Jemen zudem einen inner-islamischen Stellvertreterkrieg.
Freitag kündigte der Iran an, er wolle seine Differenzen mit Nachbarstaaten am Golf beilegen und im September mit sechs Ländern Verhandlungen aufnehmen. Hintergrund seien die Konflikte in Syrien und dem Jemen. Diese wolle man ausräumen, um effektiver gegen den "Islamische Staat" kämpfen zu können, zitierte die Nachrichtenagentur ISNA den stellvertretenden iranischen Außenminister Amirabdullahian. Er gehe davon aus, dass sich neben Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten wohl auch die Türkei beteiligen werde, wird Amirabdullahian weiter zitiert.
Was auch immer dabei herauskommt: Das Leiden und Sterben der Bevölkerung geht weiter. Die Jemeniten erlitten „einen der heftigsten bewaffneten Konflikte, die wir bei Ärzte ohne Grenzen je erlebt haben“, so der stellvertretende medizinische Leiter der Schweizer Sektion von Ärzte ohne Grenzen, Tammam Aloudat, in einem Bericht für das Hilfswerk vom Donnerstag. Seit 2011 sei dies sein zweiter Besuch im Jemen, so Aloudat, und der größte Unterschied zu damals sei für ihn gewesen, „dass das allgemeine Gefühl von Optimismus in Verzweiflung und Angst vor der Zukunft umgeschlagen ist“.
Der Chef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Peter Maurer, erklärte in dieser Woche nach einem dreitägigen Kurzbesuch im Jemen: „Die Welt sollte endlich die Augen öffnen, um die schreckliche Situation zu erfassen. All dies kann nicht so weitergehen.“ Der Jemen werde zusammenbrechen. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kamen bei den Kämpfen im Jemen bislang mehr als 4300 Menschen ums Leben, meist Zivilisten. Als eine der wenigen im Jemen gebliebenen Hilfsorganisationen hat das Rote Kreuz mehr als zwei Millionen Menschen mit Wasser versorgt und für 100.000 Menschen Nothilfe geleistet.