Verfassungsputsch in Ungarn

Rechtspopulist Victor Orban entmachtet mit seiner Partei die höchsten Richter. EU und USA sind alarmiert.

Budapest. Die linksliberale Online-Zeitung „Pester Lloyd“ wähnt sich in einem neuen Vormärz. Wie vor der Revolution von 1848, so befinde sich Ungarn auch jetzt wieder auf dem „Weg zum Aufstand der Bürger gegen die Allmacht der Herrschenden“, schreibt das Portal, dessen Server in Deutschland steht. So entgeht der „Lloyd“ der Zensur in Ungarn.

Die Zeitung berichtet offen über den Machtausbau der Regierung des Rechtspopulisten Viktor Orban. Am Montagabend vermeldete der „Lloyd“ einen „erneuten Verfassungsputsch“ durch Orbans nationalkonservative Fidesz-Partei.

Seit Tagen spitzt sich die Lage in Budapest zu. Bei mehreren spontanen Kundgebungen beschimpften sich Rechtsextremisten und linke Gruppen wechselseitig als „Kommunistenpack“ und „Totengräber der Demokratie“. Auslöser der Konfrontation ist eine Verfassungsnovelle, die Fidesz am Montag ungefährdet durch das Parlament brachte. Orbans Fidesz regiert mit einer Zweidrittelmehrheit.

Die EU, die USA und die heimische Opposition fürchten, dass die Justiz in Ungarn durch die Neuregelung ihre Unabhängigkeit verlieren könnte. Im Zentrum des Streits steht das Verfassungsgericht.

Die Novelle sieht vor, dass sich die höchsten Richter nur noch mit der formalen, nicht der inhaltlichen Zulässigkeit von Gesetzen befassen sollen. Zuletzt hatten die Verfassungsrichter mehrere Gesetze gestoppt, die Orbans Macht gestärkt hätten. Darunter waren Änderungen des Wahlrechts zugunsten der Fidesz-Partei.

Die Entmachtung der Richter ist nicht der einzige Punkt in der Novelle, der die Orban-Gegner alarmiert. Stichwort Religionsfreiheit: Glaubensgemeinschaften müssen künftig ihre „Bereitschaft zur Kooperation mit der Regierung“ erklären.

Stichwort Wahlfreiheit: Parteienwerbung im Privatfernsehen wird verboten. Die Kontrolle läge damit in der Hand der vom Fidesz gelenkten Staatssender. Stichwort Freizügigkeit: Studenten sollen dazu verpflichtet werden, nach ihrem Examen in Ungarn zu arbeiten.

In Brüssel wachsen die Sorgen über die Entwicklung in Ungarn. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barolo rief Orban an, um ihn an die demokratischen Spielregeln der Union zu erinnern. Parallel dazu forderte das US-Außenministerium eine Verschiebung der Abstimmung im Budapester Parlament.

Nichts half. Außenminister Janos Martonyj erklärte in einem Brief an die EU die vage Bereitschaft der Regierung zum Dialog. Die Kritik an der Verfassungsnovelle beruhe auf „Missverständnissen und Fehlinformationen“.

Der ungarische Staatschef Janos Ader, der am Montag zu seinem Antrittsbesuch nach Deutschland gereist war, wollte sich zum Streit in der Heimat „von Berlin aus nicht äußern“. Ader gilt als Orban-Vertrauter.