Vor Merkel-Reise: Neue Vorwürfe gegen die Türkei

Berlin/Brüssel (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt trotz aller Probleme bei der Umsetzung des Flüchtlingspakts auf einen langfristigen Erfolg ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei.

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„Wenn Schwierigkeiten auftauchen, versuche ich sie zu überwinden oder andere Wege zu finden, damit wir es schaffen, eine Herausforderung zu meistern“, sagte Merkel der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS).

Die Kanzlerin reist an diesem Sonntag zu einem Kurzbesuch nach Istanbul, um an einem UN-Nothilfegipfel teilzunehmen. Am Montag ist auch ein Treffen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan geplant. Thema dürfte vor allem die Flüchtlingskrise sein, insbesondere das Umsetzen des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei.

Für Unruhe in Berlin und Brüssel sorgt aber auch der Umgang Erdogans mit Grundrechten, Demokratie und Pressefreiheit. Erst am Freitag hatte das Parlament in Ankara auf Betreiben Erdogans die Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten aufgehoben. Ihnen drohen nun Strafverfolgung und Mandatsverlust. Betroffen sind vor allem Abgeordnete der prokurdischen HDP.

Merkel äußerte Verständnis für Kritik an den Verhältnissen in der Türkei. Sie wandte sich aber gegen Kritik, die immer wieder das Scheitern des Flüchtlingspaktes vorhersage. „Was mich irritiert, ist, dass ich manchmal fast so etwas wie eine Freude am Scheitern beobachte“, sagte sie der „FAS“. Ihr Politikverständnis sei anders: „Ich will etwas zum Gelingen beitragen.“ Unter anderem hat sich CSU-Chef Horst Seehofer skeptisch über das Abkommen geäußert.

Pro Asyl warf der Türkei schwere Menschenrechtsverletzungen vor und verlangte eine sofortige Aussetzung des Flüchtlingspaktes. „Die Kanzlerin hat die Menschenrechte von Flüchtlingen geopfert für diesen Deal“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt der Deutschen Presse-Agentur. „Die Erfahrungen der vergangenen Wochen übertreffen unsere schlimmsten Befürchtungen.“ In der Türkei, aber auch in Griechenland würden Flüchtlinge systematisch entrechtet.

Der Flüchtlingspakt der EU mit der Regierung in Ankara - den Merkel maßgeblich vorangetrieben hat - sieht vor, dass Flüchtlinge, die aus der Türkei auf griechische Inseln übersetzen, zurückgeschickt werden. Für jeden syrischen Flüchtling soll ein anderer Syrer legal und direkt aus der Türkei in die Europäische Union einreisen.

Deutschland hat auf Grundlage der Vereinbarung bislang 157 Flüchtlinge aufgenommen. Wie das Bundesinnenministerium am Samstag auf Anfrage mitteilte, traf am Donnerstag eine weitere Chartermaschine mit 103 Schutzsuchenden ein. Die anderen EU-Staaten nahmen demnach bisher 123 Flüchtlinge auf (Stand 17. Mai).

Laut „Spiegel“ verweigert Ankara gut ausgebildeten Flüchtlingen aus Syrien aber die Ausreise. Stattdessen schicke die Türkei viele „schwere medizinische Fälle oder Flüchtlinge mit sehr niedriger Bildung“. Beim Brüsseler Treffen der EU-Innenminister am Freitag hatte bereits der luxemburgische Minister Jean Asselborn berichtet, dass die Türkei Akademikern Ausreisegenehmigungen verweigere.

Aus dem Bundesinnenministerium hieß es dazu am Samstag, es handele sich um einen komplexen Prozess mit vielen Beteiligten. „Da sind Anlaufschwierigkeiten normal und werden mit den Beteiligten besprochen.“

FDP-Chef Lindner warnte Merkel vor Zugeständnissen an die türkische Staatsführung. „Die Kanzlerin muss Erdogan die klare Botschaft überbringen, dass sein Gebaren absolut inakzeptabel ist und dass es bei Grundrechten, Pressefreiheit und Demokratie keine Rabatte geben wird“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.