Weltweites Gedenken an Tschernobyl-Katastrophe

Kiew/Moskau (dpa) - Mit ergreifenden Gedenkfeiern, aber auch mit einem klaren Bekenntnis zur Atomkraft haben die Ukraine und Russland der Opfer des Super-GAUs in Tschernobyl vor 25 Jahren gedacht.

Die Unglücke von Tschernobyl und im japanischen Fukushima zeigten, dass die Folgen solcher Katastrophen grenzenlos seien, sagte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch in Sichtweite des von einem mächtigen Sarkophag überdeckten Reaktors. Kremlchef Dmitri Medwedew kündigte in der Sperrzone rund um das Kraftwerk eine russische Initiative für weltweit mehr Reaktorsicherheit an.

In der Anlage Tschernobyl war am 26. April 1986 der Reaktorblock vier bei einer Übung explodiert. Eine kilometerhohe Feuersbrunst wirbelte über Tage radioaktive Teilchen in die Luft, die Strahlung war 400 Mal stärker als beim US-Atombombenabwurf auf die japanische Stadt Hiroshima 1945. Von der Ukraine aus breitete sich die Wolke über weite Teile Westeuropas aus. Bis heute sind Böden mit radioaktiven Stoffen wie etwa Cäsium-137 belastet. Mindestens 10 000 Menschen starben laut Schätzungen an den Folgen der Katastrophe. Der letzte aktive Tschernobyl-Meiler war erst im Jahr 2000 stillgelegt worden.

In Japan sagte Regierungssprecher Yukio Edano, sein Land profitiere bei den Rettungsarbeiten in Fukushima auch von den Tschernobyl-Erfahrungen. Beide Unfälle seien aber nicht vergleichbar. In Japan betrage die freigesetzte Radioaktivität ein Zehntel dessen, was in Tschernobyl in die Umwelt gelangte, sagte Edano. Dagegen stufen Umweltorganisationen beide Unfälle als etwa gleich schlimm ein. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte in Berlin, Tschernobyl habe „unermessliches Leid“ gebracht. „Darunter werden Kinder leiden, die heute noch gar nicht geboren sind.“ In New York läutete UN-Chef Ban Ki Moon im Gedenken die Friedensglocke der Vereinten Nationen.

Vor allem dem lebensgefährlichen Einsatz der damaligen Aufräumarbeiter („Liquidatoren“) sei zu verdanken, dass sich das radioaktive Unheil nicht noch weiter über die Welt ausgebreitet habe, sagte Janukowitsch in der Ukraine. Medwedew bezeichnete das lange Schweigen der damaligen Führung unter Sowjetführer Michail Gorbatschow nach dem Unfall als Fehler. Es war der erste Besuch eines Kremlchefs in Tschernobyl seit einer Reise Gorbatschows im Jahr 1989.

Ein Vierteljahrhundert nach der Katastrophe in der Ukraine läuteten um 1.23 Uhr Ortszeit (0.23 Uhr MESZ) 25 Schläge mit der Tschernobyl-Glocke den Jahrestag ein. Mit den durchdringenden Klängen beginnt traditionell das jährliche Erinnern an die tausenden Opfer des GAUs in der damaligen Sowjetrepublik. „Bis zu diesem Zeitpunkt kannte die Menschheit keine solche Katastrophe“, sagte der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Kirill, bei einer Messe. Dort trugen hunderte Menschen, darunter Arbeiter von damals, Kerzen und Blumen.

Die Umweltorganisation Greenpeace bestrahlte den seinerzeit havarierten Reaktor 4 mit einer Lichtprojektion. Auch ein Totenkopf sowie Anti-Atomkraft-Slogans in Japanisch, Deutsch und Russisch waren zu sehen. „Wir sind den Opfern von Tschernobyl gegenüber zum Atomausstieg verpflichtet“, sagte der deutsche Greenpeace-Aktivist Tobias Münchmeyer in der kühlen und klaren Nacht in der ruhigen Sperrzone. In Russland ließ die Umweltorganisation Bellona in St. Petersburg Fackeln aus Papier aufsteigen. Experten schätzen den Schaden durch Tschernobyl auf umgerechnet 124 Milliarden Euro.

Ungeachtet der Folgen setzen die bis heute am stärksten betroffenen Ex-Sowjetrepubliken Ukraine, Russland und Weißrussland weiter auf einen Ausbau der Kernkraft. Die friedliche Atomnutzung sei die „billigste und alles in allem ökologisch sauberste Energieform“, sagte Medwedew vor seiner Abreise nach Tschernobyl. Atomkraftgegner halten Nuklearenergie aber für teuer, unkontrollierbar und im Ernstfall tödlich. Das autoritär geführte Weißrussland will bis 2017/18 den ersten Kernreaktor bauen lassen.

Medwedew kündigte für das Gipfeltreffen der acht wichtigsten Industriestaaten (G8) am 26./27. Mai in Deauville (Frankreich) eine russische Initiative zur Reaktorsicherheit an. „Es geht um eine größere Verantwortung der Länder, die Atomanlagen betreiben, sowie um Notfallpläne.“ Anders als geplant, reiste der umstrittene weißrussische Staatschef Alexander Lukaschenko nicht in die Ukraine.

Der provisorisch abgedichtete Reaktorblock von Tschernobyl droht seit Jahren einzustürzen. Ein geschätzt 1,6 Milliarden Euro teurer Sarkophag soll den brüchigen Schutzmantel ersetzen. Unter dem Provisorium aus Stahl und Beton vermuten Experten noch 190 Tonnen hoch radioaktives Material. Auch nach einer internationalen Geberkonferenz in der Vorwoche fehlen noch mehr als 200 Millionen Euro für die Finanzierung des Jahrhundert-Projekts.