Die Flüchtlingskrise spaltet Europa
Italien lässt Nordafrikaner mit Sondervisa in andere EU-Staaten ausreisen. Die Franzosen wehren sich.
Brüssel. Wenn es um illegale Flüchtlinge geht, liegen die EU-Staaten seit Jahren im Clinch. Der wieder entfachte Streit um ihre Aufnahme ist nicht neu, wohl aber seine Dimension. Denn der Ansturm von Tausenden Flüchtlingen aus Nordafrika in Richtung Italien stellt das vielgerühmte Europa ohne Grenzen auf eine harte Probe. Die EU erlebt längst ihren nächsten Stresstest — den „Schengen-Stresstest“.
Während Italien seine Grenzen öffnet, scheint Frankreich seine lieber dichtmachen zu wollen. Und wie reagiert die EU-Kommission? Die Behörde gibt sich salomonisch. Rom dürfe den nach Italien geflüchteten Tunesiern vorläufige Papiere ausstellen. Paris dürfe — buchstäblich andererseits — seine Grenzen vorübergehend kontrollieren und den Flüchtlingen die Einreise unter Umständen auch verbieten.
Stichprobenartige Grenzkontrollen sind mit EU-Recht vereinbar. Eine Wiedereinführung regelmäßiger Kontrollen wäre dagegen ein Bruch mit dem Schengener Abkommen, das von 1995 an das Europa ohne Grenzen brachte (siehe Kasten). Seither dürfen nur in Ausnahmefällen europäische Binnengrenzen kontrolliert werden. Zum Beispiel, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht wird.
Deutschland, Österreich, Belgien und andere stellen sich bei der Kritik an Italien hinter Frankreich. Die Ausgabe vorläufiger Papiere an tunesische Flüchtlinge sei eine Einladung, Italien zu verlassen. „Unsolidarisch“, schimpften viele. Italien sei zuzumuten, Flüchtlinge aus Tunesien zu behalten oder abzuschieben, hieß es aus Deutschland. Die Nordländer kritisierten, Italien habe in der Vergangenheit auch nicht bei den 200 000 Flüchtlingen der Balkan-Kriege geholfen.
Die EU-Kommission konnte den Streit bisher nicht schlichten. Sie erinnerte daran, dass die EU jene Länder unterstützt, die unter hohem Migrationsdruck stehen: Teams der europäischen Grenzschutzagentur Frontex helfen bei der Grenzsicherung im Mittelmeer. Und außerdem gibt es Geld für Grenz-Länder. So hat Italien für 2010 und 2011 rund 81,5 Millionen Euro aus EU-Töpfen bekommen.