Vor EU-Sondertreffen Merkel unter Druck: Italien lehnt Rücknahme von Flüchtlingen ab

Berlin/Brüssel/Rom (dpa) - Bereits vor einem Sondertreffen mit mehreren EU-Staaten erleidet Kanzlerin Angela Merkel beim Bemühen um bilaterale Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen einen Rückschlag.

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Italiens Innenminister Matteo Salvini lehnte es am Mittwoch ab, dort registrierte und nach Deutschland weitergereiste Asylbewerber zurücknehmen. Am Sonntag will Merkel mit Regierungschefs besonders betroffener EU-Mitglieder in Brüssel beraten und sie zu bilateralen Vereinbarungen mit Deutschland bewegen.

Merkel steht innenpolitisch extrem unter Druck. Die mit ihr zerstrittene CSU von Innenminister Horst Seehofer hatte ihr zwei Wochen eingeräumt, um spätestens auf dem EU-Gipfel am 28. und 29. Juni solche bilateralen Rücknahme-Vereinbarungen zu treffen.

Sollte Merkel dies bis dahin nicht gelingen, will Seehofer - gegen ihren Willen - im nationalen Alleingang bereits in anderen EU-Ländern registrierte Flüchtlinge abweisen lassen. Damit würde der Asylstreit zwischen den Schwesterparteien weiter eskalieren, ein Bruch des Unionsbündnisses und damit ein Ende der Koalition würde drohen.

„Die italienische Regierung ist ausschließlich bereit, den Italienern zu helfen“, sagte Innenminister Salvini, der auch der fremdenfeindlichen Regierungspartei Lega vorsitzt, in Rom. „Also statt zu nehmen, sind wir bereit zu geben.“

Österreichs Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) warnte bei seinem Treffen mit Salvini in Rom aber auch vor einem Domino-Effekt, der durch Seehofers Vorhaben in Gang gesetzt werden würde, „der uns das Problem an die Außengrenzen werfen wird“.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) türmte für die Kanzlerin ein weiteres Problem auf: Bei einem Treffen mit dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz in Linz warnte er sie davor, andere europäische Länder mit finanziellen Zusagen zu einer Zusammenarbeit in Asylfragen zu bewegen. „Wir können jetzt nicht ... mit deutschen Zahlungen versuchen, irgendwelche Lösungen zu erreichen“, sagte er mit Blick auf die Vereinbarung Merkels mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vom Vortag. Besser solle Geld für „Schutzzonen in Afrika“ ausgegeben werden.

Merkel und Macron hatten bei ihrem Treffen in Meseberg ein Eurozonen-Budget für 2021 vereinbart, aber im Rahmen der bisherigen Haushaltstrukturen und ohne Angaben zur Höhe. Ziel ist es, den Euro krisenfester zu machen und eine milliardenschwere Investitionsoffensive zu starten. Im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD vereinbart, die Eurozone finanziell zu stabilisieren und die Grundlage für einen eigenen Investitionshaushalt zu schaffen.

Merkels Einverständnis beim Eurozonen-Budget wurde damit erklärt, dass sie von Macron in der Asylpolitik Unterstützung erhält. Macron hatte in Meseberg signalisiert, dass er mit Deutschland ein bilaterales Abkommen schließen will über das jeweilige Zurückschicken bereits registrierter Flüchtlinge.

Am kommenden Dienstag soll es auf Antrag der SPD ein Treffen der Koalitionsspitze geben, bei dem die Migrationspolitik besprochen wird. Die SPD hatte massive Kritik am Vorgehen des Koalitionspartners CSU geübt. Thema dürfte aber auch die Vereinbarung von Meseberg sein.

Seehofer ließ die Zustimmung seiner Partei zu den Vorstößen von Merkel und Macron offen. „Leider hat es im Vorhinein keine Abstimmung mit uns gegeben, und deshalb darf man sich jetzt nicht wundern, dass es viele Fragen und Interpretationen gibt“, sagte er in Berlin.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich zufrieden mit den Beschlüssen. Die Pläne seien „in hohem Maße konsensfähig“, auch wenn vielleicht nicht alle EU-Länder spontan zustimmen könnten.

Zum informellen Arbeitstreffen am Sonntag hat Juncker eingeladen. Neben Deutschland kommen voraussichtlich Österreich, Italien, Frankreich, Griechenland, Bulgarien, Spanien, die Niederlande und Belgien. „Alle interessierten“ Mitgliedsstaaten seien willkommen, sagte Juncker in Brüssel.

Ob es Merkel tatsächlich gelingt, außer Frankreich weitere Regierungen für bilateralen Flüchtlingsabkommen zu gewinnen, ist nicht erst seit Salvinis Absage fraglich. Allerdings sieht eine Entwurf für eine gemeinsame Erklärung der Regierungschefs am Sonntag Mechanismen zur Rücknahme von Migranten vor. „Wir werden einen flexiblen gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ daraus. Unklar war allerdings zunächst, welche Staaten das Papier bislang unterstützen.

Söder stellte vor seinem Treffen mit Kanzler Kurz klar, dass Bayern und Österreich eine gemeinsame Überzeugung in der Flüchtlingspolitik hätten. Europa sei zwar ein weltoffener Kontinent, brauche aber einen besseren Schutz der Außengrenzen und eine Begrenzung der Zuwanderung.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kritisierte Kurz' Regierung, weil sie EU-Mitglieder wie Polen oder Ungarn darin unterstütze, sich nicht an einer EU-weiten Verteilung von Flüchtlingen zu beteiligen. „Wir erreichen nichts, weil sich diese Länder seit 2015 dagegen wehren“, sagte Asselborn dem Bonner „General-Anzeiger“ (Donnerstag). Österreich übernimmt zum 1. Juli den EU-Ratsvorsitz.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) räumte im ZDF-„Morgenmagazin“ ein, dass er in seinen 13 Amtsjahren eine so schwierige Lage im Verhältnis der Schwesterparteien noch nicht erlebt habe. Er will trotz allem weiter mit der CSU nach einer Lösung suchen. Die EU müsse angesichts der „Amerika-zuerst“-Politik von US-Präsident Donald Trump zusammenhalten. Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann stimmte versöhnliche Töne an, ohne sich allerdings in der Sache zu bewegen. „Die CSU will keinen Bruch mit der CDU“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch).

Die Zahl der Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) sank im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 18 Prozent auf rund 78 000, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. „Nach den Erfahrungen der Vorjahre ist für den Sommer/Herbst mit einem saisonal bedingten Anstieg der Antragszahlen zu rechnen“, sagte Minister Seehofer. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Korridor für die maximale jährliche Zuwanderung von 180 000 bis 220 000 könne daher überschritten werden.