Westen erhöht den Druck auf Gaddafi
Bengasi/Kairo/New York (dpa) - Aus Sorge vor einer Ausweitung der Gewalt in Libyen hat Deutschland im UN-Sicherheitsrat schärfere Sanktionen gegen das Regime in Tripolis gefordert.
„Wir sind sehr besorgt, und wir wollen, dass der Sicherheitsrat aktiv wird und weitere Sanktionen erwägt“, sagte Berlins UN-Botschafter Peter Wittig am Dienstag nach einer Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums. „Die vorhandenen Strafmaßnahmen sollten besser und strenger werden, um den Druck auf das Gaddafi-Regime zu erhöhen.“
Die Aufständischen stellten Staatschef Muammar al-Gaddafi ein Ultimatum von 72 Stunden, um Angriffe gegen die Zivilbevölkerung zu stoppen und ins Exil zu gehen. „Wenn er die Bombardierungen einstellt und das Land innerhalb von 72 Stunden verlässt, werden wir als Libyer davon Abstand nehmen, ihn strafrechtlich zu verfolgen“, sagte der Chef der Interimsverwaltung der Gaddafi-Gegner, Mustafa Abdul Dschalil, dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira. Im Streit um blutige Militäroperationen des Regimes kündigten zwei einflussreiche Weggefährten Gaddafi die Gefolgschaft. Dennoch startete er am Dienstag eine neue Offensive gegen die Rebellen in mehreren Städten.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach sich gegen überhastete Entscheidungen über eine Flugverbotzone aus. „Zwingend erforderlich“ seien ein Mandat der Vereinten Nationen und ein Einvernehmen mit der Arabischen Liga, sagte Westerwelle dem „Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung“ (Mittwoch). „Denn wir wollen nicht auf eine schiefe Ebene geraten, an deren Ende dann ein militärischer Konflikt unter unserer Beteiligung steht“, sagte er.
Paris und London wollen mit einer Resolution im Weltsicherheitsrat die Einrichtung einer Flugverbotszone gegen die libysche Luftwaffe durchsetzen. Ein entsprechender Entwurf soll noch in dieser Woche im Sicherheitsrat eingebracht werden. Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) forderte ebenfalls eine Flugverbotszone. „Zivilisten müssen vor Luftangriffen geschützt werden“, sagte OIC-Generalsekretär Ekmeleddin Ihsanoglu. Zugleich lehne aber der Zusammenschluss von 57 Ländern jede militärische Intervention in Libyen ab, fügte er hinzu.
An der libyschen Mittelmeerküste flogen Kampfflugzeuge massive Angriffe auf Stellungen der Aufständischen in Ras Lanuf. Gefechte wurden auch aus Misurata gemeldet, Al-Sawija lag unter Artilleriebeschuss. In Tripolis stellte Gaddafi seinen Verteidigungsminister Abu Bakr Junis und den Alt-Revolutionär und langjährigen Geheimdienstchef Mustafa al-Charubi unter Hausarrest. Sie hätten die jüngsten Offensiven abgelehnt, verlautete aus Regierungskreisen.
Den Rebellen geht inzwischen das Benzin aus. Es gebe nur noch Treibstoff für eine Woche, berichtete die in Dubai erscheinende Tageszeitung „Gulf News“ unter Berufung auf einen Beamten der Übergangsregierung in Bengasi. Der Osten Libyens ist zwar reich an Erdöl und verfügt auch über eigene Raffinerien, doch diese stellten wegen der anhaltenden Kämpfe zwischen Aufständischen und Regimetruppen ihre Produktion weitgehend ein.
Die Opposition lehnte ein „Angebot“ Gaddafis für einen Rückzug ab. Ein Sprecher der Interimsregierung der Aufständischen sagte dem britischen Sender BBC, es habe „indirekte Kontakte“ gegeben, aber solange Gaddafi die Kampfhandlungen nicht stoppe, gebe es keinen Spielraum für Verhandlungen. Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira zitierte einen Vertreter des Interimsrates mit den Worten: „Wir verhandeln mit niemandem, der das Blut der Libyer vergossen hat und dies weiter tut.“ Das Staatsfernsehen dementierte eine Kontaktaufnahme durch das Regime.
Die Nato hält sich für ein mögliches Eingreifen in dem nordafrikanischen Land bereit. Awacs-Aufklärungsflugzeuge sollen die militärischen Aktionen des Gaddafi-Regimes nun rund um die Uhr überwachen. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte in den ARD-„Tagesthemen“, er habe die Militärs gebeten, Planungen „für alle Eventualitäten“ vorzunehmen. Die Nato habe derzeit aber nicht die Absicht, in Libyen zu intervenieren. Eine Flugverbotszone sei eine sehr umfassende Maßnahme, die den Einsatz vieler militärischer Mittel erfordere. Eine etwaige Nato-Operation müsse von einem UN-Mandat gedeckt sein.
Die US-Regierung schließt auch Waffenlieferungen an die Rebellen nicht aus. „Das ist eine aus einer Reihe von Optionen, die erwogen wird“, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Washington nutze mehrere Kanäle, um mehr über die Ziele der Gaddafi-Gegner zu erfahren. „Ich denke, es wäre verfrüht, einen Haufen Waffen an ein Postfach im Osten Libyens zu schicken“, sagte Carney. Man müsse die denkbaren Optionen genau abwägen. Der Nationalrat aus Vertretern der „befreiten“ Städte im Osten Libyens hatte die Internationale Gemeinschaft mehrfach um die Verhängung einer Flugverbotszone gebeten.
Die UN-Vetomacht Russland kritisiert die Gewalt gegen die Bevölkerung in dem nordafrikanischen Land scharf, lehnt aber eine internationale Militäraktion dort ab. Moskau hatte in den vergangenen Jahren mehrfach Waffen an Gaddafi geliefert. An diesem Mittwoch wird US-Vizepräsident Joe Biden zu Gesprächen mit Kremlchef Dmitri Medwedew in Moskau erwartet.
Die EU verschärfte ihre Sanktionen gegen Libyen. Die Vertreter der 27 EU-Regierungen einigten sich in Brüssel darauf, das Vermögen einer Reihe von libyschen Finanzunternehmen einzufrieren. Mit diesem Schritt werden die bisherigen EU-Sanktionen erweitert. Sie sehen Einreiseverbote gegen Gaddafi sowie 25 andere Vertreter des Regimes und das Einfrieren von deren Vermögen in der EU.
Zugleich bot die EU den Ländern im Norden Afrikas Milliardenhilfen auf ihrem Weg zu mehr Demokratie an. „Unser Platz ist an der Seite jener, die politische Freiheit und Menschenwürde verlangen“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor dem Europaparlament in Straßburg. Die „Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand“ mit den südlichen Mittelmeerländern soll an diesem Freitag von den Staats- und Regierungschefs der EU offiziell beschlossen werden.
Die Marine der Bundeswehr brachte mehr als 400 ägyptische Libyen-Flüchtlinge in ihre Heimat zurück. Nach zweieinhalb Tagen auf See liefen die Fregatten „Brandenburg“ und „Rheinland-Pfalz“ sowie das Versorgungsschiff „Berlin“ am Dienstag in den Hafen Alexandria in Ägypten ein. Die Schiffe waren am Samstagabend im tunesischen Mittelmeerhafen Gabes gestartet. Bei den Flüchtlingen handelt es sich um ägyptische Gastarbeiter, die vor den Kämpfen aus Libyen nach Tunesien geflohen waren.