Flüchtlinge Westsahara: Mauer des vergessenen Konflikts

Vor gut 40 Jahren flohen große Teile des Wüstenvolks der Saharauis vor dem Westsahara-Konflikt nach Algerien. Ein 2700 Kilometer langer Wall verhindert bis heute die Rückkehr in ihre angestammte Heimat.

Foto: Dietmar Kappe

Düsseldorf. Seit dem 24. Februar ist die Ausschreibung für Donald Trumps Mauer entlang der Grenze zu Mexiko auf dem Markt. Das Bauwerk soll am Ende mehr als 3000 Kilometer lang sein. Damit entspricht es in etwa einer Mauer, die seit den 1980er Jahren die Westsahara trennt — und auf eines der ältesten Flüchtlingsdramen verweist, die bis heute andauern.

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Man kann das Schicksal des Beduinenvolks der Saharauis am Beispiel von Ali M’Barek Mouloud erzählen. Heute arbeitet der 51-Jährige als Krankenpfleger in Hannover. Aber geboren wird er in Laayoune in der Westsahara zu einem Zeitpunkt, als dieses Land noch spanische Kolonie ist.

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Das ändert sich, als der spanische Diktator Franco 1975 stirbt. Im Madrider Abkommen desselben Jahres stellt Spanien seinen Rückzug innerhalb von drei Monaten in Aussicht und die ehemalige Kolonie wird zwischen Marokko und Mauretanien aufgeteilt — zum Nachteil der Saharauis, die mit ihrer 1973 gegründeten Befreiungsbewegung Frente Polisario für einen unabhängigen Staat kämpfen.

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M’Barek Mouloud muss im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie fliehen. „Vom Norden kam die marokkanische Armee, vom Süden die mauretanische, im Westen liegt der Atlantik. Also blieb uns nur der Osten.“ Nach einem Monat erreichen sie, verladen auf Lkws, die algerische Grenze.

Der Nachbarstaat lässt die Flüchtlinge aus humanitären Gründen einreisen und bringt sie in Lagern nahe der Stadt Tindouf unter. „Wir haben gedacht, wir sind hier für ein paar Monate, vielleicht auch für zwei bis drei Jahre“, erinnert sich M’Barek Mouloud. Inzwischen sind es gut 40 Jahre geworden — in einem der unwirtlichsten Teile der Sahara, einer Geröllwüste mit Tagestemperaturen von oft mehr als 50 Grad Celsius und stark salzhaltigem Trinkwasser.

Ein Jahr später muss der elfjährige Junge seine Familie verlassen. Gaddafis Libyen holt tausende saharauische Kinder aus dem algerischen Niemandsland in Internate zur Schulausbildung. Als Ali nach drei Jahren erstmals zurückkehrt, spricht er nur noch libysches Arabisch, erkennt seine Eltern kaum noch und wird von seiner Mutter erst anhand einer Warze hinter dem rechten Ohrläppchen identifiziert.

1987 wird Ali M’Barek Mouloud zur Ausbildung in die damalige DDR nach Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) geschickt. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die marokkanische Armee den sechsjährigen Bau am etwa 2700 Kilometer langen Befestigungswall durch die Westsahara abgeschlossen hat. Die drei bis fünf Meter hohe Mauer ist weiträumig vermint, teilt das saharauische Volk bis heute und schottet das von Marokko besetzte Gebiet gegen die Polisario auf algerischer Seite ab.

In der DDR erlebt M’Barek Mouloud den Mauerfall und die Wende — und hofft bald auch auf eine Wende in seiner Heimat. Denn die Uno handelt 1991 einen Waffenstillstand aus und ein Referendum wird in Aussicht gestellt, in dem über die Zukunft der Westsahara entschieden werden soll. Der noch nicht fertig ausgebildete Krankenpfleger kehrt nach Algerien zurück, um sich registrieren zu lassen. Denn wer abstimmen darf, ist ein großes Politikum. Bis heute gibt es keine offiziellen Zählungen; keine Seite will sich eine Blöße geben. Schätzungen sprechen von rund 165 000 Flüchtlingen in den vier Lagern um Tindouf. Die Vereinten Nationen haben ihre Hilfslieferungen für 90 000 Menschen konzipiert.

Sechs Jahre bleibt der Rückkehrer in den Lagern, arbeitet in den Krankenhäusern, die mittlerweile entstanden sind. „Die Frente Polisario hat eine effektive Verwaltung aufgebaut“, sagt Dietmar Kappe von der Uno-Flüchtlingshilfe. Die Alphabetisierungsquote ist die höchste in Afrika, die Stellung der Frauen stark wie kaum woanders. Es besteht eine Exilregierung samt Ministerien für die von der Befreiungsbewegung ausgerufene Demokratische Arabische Republik Sahara. „Das ist alles sehr diszipliniert und in den Lagern gibt es kaum Gewalt.“

Aber die UN-Friedensmission „Minurso“ ist in 26 Jahren einer Lösung nicht nähergekommen. Das versprochene Referendum hat bis heute nicht stattgefunden. Die Saharauis sind enttäuscht von der internationalen Gemeinschaft und wegen der vielen gebrochenen Zusagen. „Seitdem wir friedlich sind, interessiert sich keiner mehr für uns“, sagt Ali M’Barek Mouloud.

Das zeigt sich auch an der rückläufigen internationalen Hilfe, ohne die die Flüchtlingslager in der Geröllwüste von Algerien auf Dauer nicht überlebensfähig sind. „Es besteht nach so langer Zeit eine Spendermüdigkeit“, bestätigt Dietmar Kappe. „Viel längere und viel vergessenere Konflikte gibt es in dieser Dimension wirklich nicht.“

Marokko hat derweil seine intensive Siedlungspolitik fortgesetzt und hunderttausenden Marokkanern in der Westsahara eine neue Heimat gegeben. Das Land profitiert von einem der weltweit größten Phosphatvorkommen. In den Flüchtlingslagern wächst die Frustration und immer wieder wird über die Rückkehr zum bewaffneten Widerstand diskutiert, auch wenn das verbale Säbelrasseln nach Kappes Einschätzung den Konflikt schon jahrzehntelang begleitet.

Ali M’Barek Mouloud lebt seit 20 Jahren wieder in Deutschland und hat mittlerweile auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Er erzählt die Geschichte seines Volkes wieder und wieder — in Schulen und Kindergärten, auf Podien und in den Medien. Seine Hoffnung ist gering. „Aber wir geben nicht auf.“