Gesundheit Bürgerversicherung oder weiter gesetzliche und private Krankenversicherung? Darum geht es
Die CDU will gesetzliche und private Krankenversicherung beibehalten. Die SPD will das System mit einer Bürgerversicherung ändern.
Düsseldorf. Im Gegensatz zum SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz denkt Hermann Gröhe nicht daran, der Privaten Krankenversicherung (PKV) den Boden zu entziehen. Das Nebeneinander von Privater und Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) sei ein Garant für den hohen Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland, sagte der CDU-Bundesgesundheitsminister bei einer Veranstaltung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein in Düsseldorf. „Wer einen anderen Weg vorschlägt, führt eine unangemessene Sozialneid-Debatte“, so Gröhe. „Das einzig Gute an der Bürgerversicherung ist ihr Name“, meinte der CDU-Politiker aus Neuss. „Der Begriff ist wirklich nicht schlecht, aber das Konzept sorgt nicht für mehr Gerechtigkeit, sondern führt in die Irre.“
Laut Gröhe schafft es das deutsche Gesundheitssystem, eine hohe Qualität mit dem allgemeinen Zugang zu diesen Leistungen für alle Patienten zu garantieren. „Wenn ein Arbeitsloser und ich heute Abend in Düsseldorf auf einen schwerwiegenden medizinischen Eingriff angewiesen sind, bekommen wir die gleiche Behandlung“, so Gröhe. „Und das sage ich als Bundesminister, der gesetzlich versichert ist.“ Anders als von der SPD behauptet, löse eine Zwangsverbindung von PKV und GKV kein einziges Problem. Damit lasse sich weder der Ärztemangel auf dem Land beseitigen noch eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung erreichen. „Die Union steht zum zweigleisigen System“, versicherte Gröhe.
Ganz anders die SPD. Sie will die Konkurrenz von privaten und gesetzlichen Krankenkassen abschaffen. Auf ihrem Bundesparteitag Ende Juni in Dortmund haben die Sozialdemokraten beschlossen, mit der Forderung nach Einführung der Bürgerversicherung in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. „Eine Zwei-Klassen-Medizin soll es nicht länger geben“, so Karl Lauterbach, Experte der SPD in Sachen Gesundheitspolitik.
Zudem möchte die SPD im Gegensatz zur Union zurück zur paritätischen Finanzierung des Krankenkassenbeitrags. Arbeitgeber und Versicherte sollen also den gleichen Anteil übernehmen. Derzeit gilt diese Parität nur für den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent der Bruttoeinkommen bis zur Bemessungsgrenze von 4350 Euro monatlich. Kommt die Kasse mit dem Geld nicht aus, kann sie einen Zusatzbeitrag verlangen, den die Arbeitnehmer alleine zahlen. Momentan sind das durchschnittlich 1,1 Prozent.
Der SPD-Plan sieht vor, alle Versicherten automatisch in die Bürgerversicherung aufzunehmen. Dies gilt auch für Beamte, Selbstständige und Freiberufler zu Beginn ihres Berufslebens. Neue Mitglieder für die privaten Kassen gäbe es dann nicht mehr. Bisher Privatversicherte können wählen, ob sie in die Bürgerversicherung wechseln möchten. Den öffentlichen Arbeitgebern steht es nach dem SPD-Konzept frei, ob sie für gesetzlich versicherte Beamte einen Arbeitgeberbeitrag zahlen oder wie bisher über die Beihilfe einen Anteil der Behandlungskosten direkt übernehmen.
Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD
„Das heutige System ist ungerecht, weil Privatpatienten schneller Zugang zu neuen Arzneimitteln und Behandlungsmethoden haben“, kritisiert Lauterbach. Für niedergelassene Ärzte seien privat Versicherte eine begehrte Klientel, da die Honorare deutlich höher lägen. Die Folge: Während gesetzlich Versicherte oft monatelang auf einen Termin beim gewünschten Facharzt warten, gelingt das Privatpatienten binnen weniger Tage.
Um das zu ändern, setzt die SPD mit der Bürgerversicherung auf eine einheitliche Honorarordnung. Mehr Geld für die Behandlung von Privatpatienten soll es nicht mehr geben. „Die Vergütung medizinischer Leistungen richtet sich nach dem Bedarf der Patienten und nicht danach, ob sie privat oder gesetzlich versicherte sind“, sagt Lauterbach.
Neben der SPD wollen auch Grüne und Linke die Bürgerversicherung durchsetzen. Einig sind sie sich aber nicht, wie die Finanzierung aussehen soll. Grüne und Linke möchten neben dem Arbeitseinkommen auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapitalerträge heranziehen. Das lehnt Lauterbach für die SPD ab.
Gegen die Bürgerversicherung positioniert sich Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Er verweist auf Großbritannien und die Niederlande. Dort hätten Einheitssysteme vor allem zu „Rationierung, Wartezeiten und zu Begrenzungen in den Leistungskatalogen“ geführt. Auf scharfe Ablehnung stößt das Konzept auch beim Verband der privaten Krankenversicherung. „Die SPD-Pläne sind wie eine Operation am offenen Herzen bei einem gesunden Patienten“, so Verbandsdirektor Volker Leienbach. Im deutschen Gesundheitswesen gehe es sozial gerecht zu. Unabhängig vom Einkommen hätten alle Bürger freie Arztwahl und Zugang zum medizinischen Fortschritt.