Urheberrecht Debatte um Urheberrecht: Der Angriff auf Europas Demokratie
Die Internet-Konzerne Google, Facebook, Amazon & Co versuchen mit Lügen und technischen Angriffen, den Schutz geistigen Eigentums in der EU zu verhindern. Sie könnten gewinnen.
Brüssel/Berlin. Noch nie wurden zu einem europäischen Gesetzesvorhaben derart viele Falschmeldungen verbreitet wie zur „Urheberrechtslinie im digitalen Binnenmarkt“, über die das EU-Parlament am Mittwoch (12. September) im zweiten Anlauf abstimmt: Fußball-Fans dürfen bald keine Handy-Videos aus dem Stadion mehr teilen (falsch). Internetnutzer dürfen demnächst keine Inhalte mehr verlinken (falsch). Upload-Filter verhindern das Hochladen von Satire und Parodien (falsch). Die EU plant eine Steuer für Hyperlinks (falsch). Wikipedia wird die Geschäftsgrundlage entzogen (falsch). Das Zitatrecht in wissenschaftlichen Werken wird eingeschränkt (falsch).
Nichts von all dem steht im aktuellen Richtlinien-Entwurf. Das politische Europa könnte dennoch zum zweiten Mal mit dem Vorhaben scheitern, das geistige Eigentum von Künstlern, Musikern, Schriftstellern, Journalisten und Wissenschaftlern vor Diebstahl und Piraterie durch amerikanische Internet-Konzerne zu schützen. Mit einer massiven Kampagne, begleitet laut Medienberichten von der Überschwemmung der Postfächer der EU-Abgeordneten mit mehr als sechs Millionen größtenteils automatisch erzeugter Mails, kippten von Google, Facebook, Amazon & Co finanzierte Lobbyisten bereits die erste Abstimmung Anfang Juli.
Abgeordnete berichteten von Telefon-Bombardements bis hin zu Morddrohungen. Von den 627 anwesenden EU-Abgeordneten (Gesamtzahl: 751) enthielten sich 31, 318 stimmten gegen, 278 für den Text-Vorschlag des Bonner EU-Abgeordneten Axel Voss (CDU), der im Rechtsausschuss des Parlaments für den Gesetzentwurf zuständig ist. Die geplante Urheberrechts-Richtlinie soll europaweit eine Rechtslücke schließen, die vor allem die großen amerikanischen Internet-Konzerne bisher nutzen, um in Europa Milliarden-Gewinne auf Kosten der Eigentümer kultureller und geistiger Leistungen zu erzielen. Beschlossen wird im Parlament nicht die endgültige Richtlinie, sondern lediglich ein Entwurf, der dann erst im sogenannten „Trilog“ mit der Kommission und den EU-Ländern verhandelt würde.
Seit 2016 wird die Richtlinie auf Initiative der EU-Kommission im Parlament diskutiert. „Wir wollen den zahlreich arbeitslos gewordenen Journalisten und den Künstlern, die von ihrer kreativen Arbeit nicht mehr leben können, weil ihre Kreativleistungen nicht angemessen vergütet werden, zu ihrem Recht verhelfen. Und wir wollen eine unabhängige Presse in unserer Demokratie aufrechterhalten und nicht Betreiber von Plattformen unterstützen, die von deren Presseerzeugnissen profitieren“, erklärte Voss im Juli das Ziel des Vorhabens.
Beispiel „Uploadfilter“: Für eine Gegnerin der Urheberrechts-Richtlinie, wie die Düsseldorfer EU-Abgeordnete und -Kulturausschussvorsitzende Petra Kammerevert (SPD), die das Scheitern im Juli begrüßte („Ich bin sehr erleichtert“), bedeuten Uploadfilter das Ende des Internets: „Eine Verpflichtung für Online-Plattformen, von Internetnutzern hochgeladene Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen zu überprüfen und zu blockieren, würde das Internet wie wir es heute kennen, in Frage stellen. Uploadfilter gefährden die Kunst- und Meinungsfreiheit“, so Kammerevert nach der Juli-Abstimmung. Doch die „Uploadfilter“ gibt es längst. Die entsprechenden Computer-Programme werden bereits seit knapp zehn Jahren eingesetzt - unter anderem von YouTube, allerdings nur auf freiwilliger Basis. „Diese Erkennungssoftware hat bis heute zu keiner Zensur geführt, daher verwundern die vielen falschen Bewertungen und Schlussfolgerungen, die in den letzten Tagen und Wochen immer und immer wieder verbreitet werden“, so Voss in einer Pressemitteilung vor der Abstimmung.
Tatsächlich sieht die Richtlinie vor, dass die Inhaber von Urheberrechten (zum Beispiel TV-Sender, Produzenten oder Filmverleiher) an Plattformen wie „YouTube“ (Eigentümer: Google; Nutzer: 1,5 Milliarden pro Monat; Video-Uploads: 500 Stunden pro Minute; Jahreseinnahmen 2015: 3,5 Milliarden US-Dollar) Informationen übermitteln (wenn sie das wollen), mit denen YouTube erkennen kann, ob ein Nutzer unwissentlich oder in illegaler Absicht ein geschütztes Werk hochlädt. Aus dem aktuellen Richtlinien-Entwurf wurden die „Uploadfilter“ gestrichen, es gibt keinen Automatismus. Ende August bekräftigte Voss bei Twitter: „Der neue Entwurf sieht keine Uploadfilter vor. Ich erwarte nun von jedem, der deshalb gegen den vorhergehenden Entwurf war, die neue Fassung zu unterstützen.“
Das ist kaum wahrscheinlich. Denn da ist auch noch das „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ als Teil der Urheberrechtsreform, das für die Abgeordnete Kammerevert (übrigens Mitglied des WDR-Rundfunkrates) „ein wichtiger Grund für die Ablehnung“ des Entwurfs ist. Vor allem ist der entsprechende Artikel 11 der Richtlinie Anlass für die Falschbehauptung, die EU wolle zugunsten der Zeitungsverleger eine „Link-Steuer“ einführen. Dazu Axel Voss: „Die private Nutzung von Hyperlinks bleibt kostenfrei, denn sie ist von dem Leistungsschutzrecht ausgenommen. Bei der privaten Nutzung entstehen dem User also keine Nachteile. Ausschließlich für die kommerzielle Verwendung können Presseverleger eine Vergütung verlangen. Dies ist auch gerechtfertigt, denn die Presseverleger tragen die rechtliche und wirtschaftliche Verantwortung für die Inhalte.“ In den Kampagnen gegen die Richtlinie ist dagegen von „Zensur“ die Rede.
In einem Musterbrief der Gewerkschaft Verdi an die EU-Abgeordneten heißt es dazu: „Urheberrecht und Urheberrechte haben nichts mit Zensur zu tun. Sie sind ein bewährtes Mittel, um sicherzustellen, dass unsere Gesellschaften von engagierten, professionellen Autoren profitieren können, die unabhängig sind, weil ihre Arbeit ihnen eine Existenzgrundlage bietet. Wenn ein Ladenbesitzer Ihnen untersagt, Karotten ohne seine Erlaubnis zu nehmen, dann ist das nicht ,Karottenzensur’ oder gar ,Rationierung’: das ist die Grundlage unserer Wirtschaft.“ Mehrere internationale und europäische Medienorganisationen, die gemeinsam einige Zehntausend Journalisten und Nachrichten-Medien repräsentieren, haben die EU-Abgeordneten aufgefordert, dem Richtlinienentwurf zuzustimmen: „Der Vorschlag stellt auch sicher, dass Hyperlinks eindeutig vom Anwendungsbereich von Artikel 11 ausgenommen sind und nicht Leser für das Teilen von Artikeln bestrafen, da die Regel nur für die Angebote von Service-Providern gilt.“
Der kommunikative Lärm falscher Darstellungen, mit dem die Lobby der Internet-Konzerne die Argumente zu übertönen versucht, geht inzwischen auch Abgeordneten gegen den Strich, die frei von dem Verdacht sind, den Zeitungsverlegern freundlich gesonnen zu sein. So twitterte die Vizepräsidentin des EU-Kulturausschusses, die Grünen-Abgeordnete Helga Trüpel, vor dem vergangenen Wochenende: „Seit gestern Abend bekomme ich alle paar Minuten vorgefertigte E-Mails gegen die Copyright Reform, die alle den letzten Voss-Kompromiss nicht aufnehmen. Eine Desinformationskampagne, sehr bitter!“
Die Chancen der Internet-Konzerne, das künftige Beratungsverfahren zu torpedieren, stehen gut: Für den Tagesordnungspunkt „Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ sind am Mittwoch lediglich zwei Stunden angesetzt. Insgesamt wurden jedoch 244 Änderungsanträge fristgerecht eingereicht, die einzeln abgestimmt werden müssen. Aus Brüsseler EU-Parlamentskreisen heißt es, angestrebte Kompromisse zwischen den Fraktionen der Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen seien teils in letzter Sekunde gescheitert.
Parlamentspräsident Antonio Tajani soll es ablehnen, die Abstimmung noch einmal zu verschieben. Im Ergebnis ist nun alles möglich: Der Streit um einzelne Artikel könnte die Richtlinie zerstückeln, es könnten sich für verschiedene Varianten keine eindeutigen Mehrheiten finden, das ganze Thema aufgegeben und auf die nächste Wahlperiode ab Mai 2019 verschoben werden — und damit Gegenstand des Europa-Wahlkampfs werden.
Es würde dann weitere Jahre dauern, bis die Internet-Giganten wenigstens in Europa gezwungen wären, für die Inhalte zu bezahlen, die sie sich heute dank ihrer Marktmacht einfach nehmen können. Für viele Medienhäuser, die sich unter dem Druck sinkender Print-Auflagen und einbrechender Anzeigen-Erlöse verstärkt um digitale Geschäftsmodelle kümmern müssen, käme das wahrscheinlich zu spät.
Gleichzeitig gibt es zur Digitalisierung für die meisten Zeitungen keine Alternative. Am kommenden Samstag tritt, fast genau 40 Jahre nach der ersten Vorausgabe vom 26. September 1978, die ordentliche Generalversammlung der „taz“-Verlagsgenossenschaft in Berlin zusammen, um über die Zukunft der links-alternativen Tageszeitung zu beraten. Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch wird die Genossen mit dem Vorschlag konfrontieren, die Druckausgabe der „taz“ im Jahr 2022 einzustellen und ab dann nur noch digital zu erscheinen.
Die „taz“ ist nicht nur aufgrund ihres genossenschaftlichen Eigentümermodells in der Presselandschaft einzigartig. Seit ihrer Gründung vor 40 Jahren gab es keinen weiteren erfolgreichen Neueintritt in den bundesdeutschen Tageszeitung-Markt. Dass der „taz“ dies gelang, verdankt sie vor allem einer Marktregel: Dem Vertriebssystem „Presse-Grosso“, das sicherstellt, dass die „taz“ bundesweit für jeden, der sie lesen möchte, auch dort am Kiosk erhältlich ist, wo das möglicherweise einer Landesregierung, einer politischen Partei oder auch einem örtlichen Wettbewerber nicht passt.
Die Pressefreiheit, so hat das Bundesverfassungsgericht bereits in den 50er Jahren geurteilt, muss zwingend auch die Freiheit des Pressevertriebs umfassen. Journalisten müssen nicht nur unzensiert berichten und kommentieren können, Verlage müssen ihren Leserinnen und Lesern die Berichte und Kommentare auch ungehindert zugänglich machen können. Diese umfassende Pressefreiheit genießt in Deutschland deshalb Verfassungsrang, weil sie unverzichtbarer Bestandteil jeder freiheitlichen Demokratie ist. Der Kern der öffentlichen Aufgabe von Presse, wie das Grundgesetz sie formuliert, ist die Mitwirkung an der politischen Meinungsbildung.
All das gerät auf dem Weg in die Digitalisierung jedoch in Gefahr, wenn die Verlage schutzlos zusehen müssen, wie ihre Inhalte, Artikel, Fotos und Grafiken von kommerziellen Suchmaschinen und Plattformen gekapert und auf eigene Rechnung vermarktet werden. Ohne ein Recht, das die Leistungen der Verlage schützt, wird es auch diese Leistungen nicht mehr lange geben. Ende August schrieb der Leiter des Bagdader Büros der Agentur Agence France-Press (AFP), Sammy Ketz, einen offenen Brief an die EU-Abgeordneten, dem sich Dutzende europäischer Top-Journalisten anschlossen: Es gehe um nicht weniger als das Überleben der Demokratie und eines ihrer bemerkenswertesten Symbole, den Journalismus.
In mehr als 40 Jahren Berichterstattung habe er gesehen, so Ketz, wie die Zahl der Journalisten vor Ort stetig abnehme, während die Gefahren unerbittlich zunähmen: „Wir sind Ziele geworden und unsere Berichterstattung kostet mehr und mehr.“ Die Medien zahlten den Preis, Journalisten riskierten ihr Leben, doch die Profite strichen die Internetplattformen ein: „Es ist, als ob ein Fremder kommt und schamlos die Früchte deiner Arbeit erbeutet. Es ist moralisch und demokratisch nicht zu rechtfertigen.“
Unzählige Male habe er in zahllosen Kriegs- und Krisengebieten Menschen gegenüber gestanden, die belagert, abgeschnitten und wehrlos gewesen seien und nur um eines gebeten hätten: „Erzähl den Leuten, was du gesehen hast. Auf diese Weise haben wir eine Chance, gerettet zu werden. Sollte ich antworten: Nein, macht euch keine Hoffnungen. Wir sind die letzten Journalisten. Bald wird es keine mehr geben, weil wir aus Geldmangel verschwinden?“
Er sei überzeugt, so Sammy Ketz, dass die Abgeordneten, die „durch betrügerische Lobbyarbeit irregeführt“ worden seien, jetzt verstünden, dass nicht der kostenlose Zugang zum Internet gefährdet sei: „Auf dem Spiel steht die Pressefreiheit, denn wenn den Zeitungen die Journalisten ausgehen, wird die Freiheit, die von Abgeordneten aller politischen Parteien unterstützt wird, ebenfalls weg sein.“ Google, Facebook, Amazon & Co würde das nicht weiter stören.