Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Bundesregierung spricht sich für Visa-Aussetzung aus - Russland droht mit Vergeltung
Deutschlands Regierung hat sich für die Aussetzung des Visa-Abkommens mit Moskau ausgesprochen. Russland droht mit Vergeltungsmaßnahmen. Die Grundlagen der Sicherheitspolitik sollen neu definiert werden - viele Waffen aus Bundeswehrbeständen können offenbar nicht mehr in Richtung Ukraine geschickt werden. Der Überblick zur Kabinettsklausur der Bundesregierung auf Schloss Meseberg.
Die Bundesregierung hat sich für die vollständige Aussetzung des europäischen Visa-Abkommens mit Moskau ausgesprochen, das russischen Staatsbürger die Einreise in die EU erleichtert. Ein solches Vorgehen könne im EU-internen Streit über mögliche Einreisebeschränkungen für Russinnen und Russen eine „ganz gute Brücke“ sein, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Dienstag am Rande der Kabinettsklausur der Bundesregierung auf Schloss Meseberg in Brandenburg. Der deutsche Ansatz sei ziemlich in der Mitte zwischen denjenigen, die gar keine Visa an Russen mehr vergeben wollten und denjenigen, die einfach weitermachen wollten wie bisher.
Nach Angaben von Baerbock gehört zu dem Vorschlag auch, dass Mehrfachvisa mit einer Gültigkeitsdauer von mehreren Jahren gar nicht mehr ausgestellt werden. Zudem sollten besonders betroffene Länder Visumanträge sehr genau prüfen können.
Aus deutscher Sicht müssten nicht nur Journalisten oder bekannte Oppositionelle, sondern zum Beispiel auch Studenten weiter die Möglichkeit haben, in die EU zu reisen, betonte Baerbock. Die kritische Zivilgesellschaft sollte nicht bestraft werden.
Hintergrund der Äußerungen von Baerbock ist die seit Tagen anhaltende Diskussion darüber, ob verhindert werden sollte, dass Russen für Einkaufstouren und Urlaube in die EU reisen, während in der Ukraine Tausende Menschen wegen des Krieges sterben. Bei einem EU-Außenministertreffen in Prag an diesem Dienstag und Mittwoch soll im Idealfall eine einheitliche EU-Linie zu der Frage und zu möglichen Maßnahmen gefunden werden. Baerbock wurde am Dienstagabend zu den Beratungen in der tschechischen Hauptstadt erwartet.
Eine vollständige Aussetzung des europäischen Visumerleichterungsabkommen mit Russland könnte die Kosten und den Aufwand für Antragsteller deutlich erhöhen und es EU-Staaten erlauben, die Visa-Vergabe für den Schengen-Raum deutlich einzuschränken. Bislang wurde das 2007 in Kraft getretene Abkommen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine offiziell nur für Geschäftsleute, Regierungsvertreter und Diplomaten außer Kraft gesetzt.
Russland droht bei Visa-Aussetzung mit Vergeltungsmaßnahmen
Russland hat im Falle einer Visa-Aussetzung für seine Bürger durch die EU vor Vergeltungsmaßnahmen gewarnt. „Das ist eine sehr schwerwiegende Entscheidung, die gegen unsere Bürger getroffen werden könnte, und eine solche Entscheidung kann nicht unbeantwortet bleiben“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag. Moskau verfolge die Angelegenheit genau. Russland müsse sicherstellen, „dass wir unseren Interessen am besten dienen und die Interessen unserer Bürger schützen“.
Am Dienstag und am Mittwoch treffen sich in Prag die Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten. Dabei steht die Diskussion um einen möglichen Visa-Stopp für Russen im Mittelpunkt.
Einige Länder in Europa wollen angesichts Moskaus Offensive in der Ukraine keine Visa mehr an russische Touristen ausstellen. Andere Staaten befürworten die eher symbolische Aussetzung eines Abkommens mit Russland, das Visa-Erleichterungen vorsieht.
Besonders die baltischen Staaten fordern ein Visa-Verbot für russische Touristen. Die Maßnahme gilt aber als unwahrscheinlich, da sie unter anderem von Deutschland abgelehnt wird.
Habeck will bei umstrittener Gasumlage nachbessern
Bei der umstrittenen Gasumlage will Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zwar nachbessern, doch innerhalb der Ampelregierung zeichnet sich keine Lösung ab. Man müsse „die Trittbrettfahrer vom Trittbrett schubsen“, sagte Habeck am Dienstag im „Deutschlandfunk“. Seiner Ansicht nach gebe es einige Stellschrauben, um zu verhindern, dass profitable Unternehmen die Umlage erhalten. Die Gasumlage sei aber kein Fehler, sondern ein notwendiges Mittel, um die hohen Preise „möglichst gerecht“ auf Deutschland zu verteilen.
Unter anderem sollten nur Unternehmen unterstützt werden, die für die Gasversorgung in Deutschland relevant seien. Zudem müsse ihr Gasgeschäft im Betrieb eine relevante Größe haben. Wer von der Umlage profitierten wolle, muss laut Habeck seine Bücher offenlegen. Allein das könnte schon reichen, „um diese Unternehmen auszusortieren“.
Habecks bayerischer Amtskollege Hubert Aiwanger befürchtete, dass das nicht genügt. „Die Gasumlage muss möglichst schnell eingestampft werden“, sagte der Freie-Wähler-Vorsitzende der „Augsburger Allgemeinen“. Die Abgrenzung zwischen berechtigten Empfängern und Mitnahmeeffekten sei nur schwer möglich. Wenn Importeure in Schieflage seien, müsse der Staat notfalls selbst Gas einkaufen.
Auch die Stadtwerke forderten eine Korrektur. Sie müsse auch bei Festpreisverträgen und Fernwärme von den Kunden erhoben werden können. Stadtwerke müssten in Vorleistung gehen und blieben auf den Kosten sitzen.
Die umstrittene Umlage soll die wegen knapper russischer Gaslieferungen stark gestiegenen Kosten von Großimporteuren ausgleichen. Ziel ist es, Pleiten und einen Kollaps des Energiesystems zu bewahren. Alle Gaskunden sollen ab Oktober zusätzlich 2,4 Cent pro Kilowattstunde bezahlen.
Die Bundesregierung prüft wegen der Kritik nun Korrekturen, was allerdings juristisch kompliziert ist. Unter anderem SPD-Chef Lars Klingbeil hatte Habeck handwerkliche Fehler vorgeworfen. Es sei wichtig, Fehler schnell zu korrigieren, sagte er am Montagabend im ZDF-„heute-journal“. „Das tut Robert Habeck jetzt“, fügte er an. „Es ist den Menschen nicht zu vermitteln, dass Unternehmen, die Milliardengewinne machen, jetzt noch Milliarden Steuergelder obendrauf bekommen.“
Unterdessen forderte Oppositionsführer Friedrich Merz, Habecks Ministerium zu beschneiden. „Die Energiepolitik gehört in einen Energiesicherheitsrat des Bundeskanzleramtes. Dort ist es richtig koordiniert, auch mit den anderen Ressorts“, sagte der CDU-Partei- und Unionsfraktionschef im ARD-Morgenmagazin.
Grundlinien der Sicherheitspolitik Deutschlands sollen neu definiert werden
Die Bundesregierung will die Grundlinien ihrer Sicherheitspolitik in einer Nationalen Sicherheitsstrategie neu definieren. Der russischen Angriffskrieg auf die Ukraine habe „gravierende Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir unsere nationale Sicherheit denken müssen“, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag bei den ersten Beratungen des Kabinetts über die neue Strategie in Meseberg bei Berlin. Das Konzept solle alle Facetten des Sicherheitsbegriffs umfassen, zum Beispiel auch die Versorgung mit Energie und Rohstoffen, den Erhalt der sozialen Marktwirtschaft oder eine starke Bildung und Forschung.
Es ist das erste Mal, dass eine Bundesregierung eine umfassende nationale Sicherheitsstrategie erstellt. Geplant war sie schon vor dem Ukraine-Krieg, der eine Kehrtwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik brachte. Nun soll die Bundeswehr massiv aufgerüstet werden. Auch mit den Waffenlieferungen in die Ukraine brach die Regierung ein Tabu.
Die Sicherheitsstrategie wird federführend vom Auswärtigen Amt erstellt, es sind aber alle mit Sicherheit befassten Ministerien beteiligt. Sie soll das Weißbuch zur Sicherheitspolitik ersetzen, das zuletzt 2016 vom Bundesverteidigungsministerium neu aufgelegt wurde.
Deutschland kommt bei Waffen aus Bundeswehrbeständen an Grenzen
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sieht kaum noch Möglichkeiten, Waffen aus Bundeswehrbeständen für den Abwehrkampf gegen Russland in die Ukraine zu schicken. „Ich muss zugeben als Verteidigungsministerin, (...) da kommen wir an die Grenzen dessen, was wir aus der Bundeswehr abgeben können“, sagte die SPD-Politikerin am Dienstag bei der Kabinettsklausur in Meseberg bei Berlin. Die Bundeswehr müsse die Landes- und Bündnisverteidigung gewährleisten können. Sie werde als Verteidigungsministerin sehr genau darauf achten, dass das weiterhin der Fall ist, betonte sie.
Die Bundeswehr hat unter anderem mehrere Panzerhaubitzen (schwere Artilleriegeschütze) sowie Mehrfachraketenwerfer an die Ukraine abgegeben. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hatte vor wenigen Tagen gefordert, die Ukraine weiterhin aus den Beständen der Bundeswehr mit Waffen zu versorgen. Sie nannte konkret Marder-Schützenpanzer, für die die Bundeswehr dann später Ersatz von der Industrie bekommen könnte.
Lambrecht zeigte sich „sehr optimistisch“, dass es in naher Zukunft zu einem Ringtausch mit Griechenland zur Unterstützung der Ukraine kommen könne. Polen bot sie weitere Gespräche darüber an. Die Idee des Ringtauschs entstand kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs. Ziel ist es, die Ukraine möglichst schnell mit schweren Waffen zu versorgen. Da die ukrainischen Streitkräfte für sowjetische Systeme keine zusätzliche Ausbildung benötigen, wurden solche Waffen zügig aus osteuropäischen Ländern in die Ukraine geliefert. Dafür sollen diese jetzt mit westlichen Fabrikaten versorgt werden.
Mit Tschechien und der Slowakei hat die Bundesregierung bereits entsprechende Vereinbarungen getroffen. Polen, das bereits rund 200 Panzer in die Ukraine geliefert hat, war mit den deutschen Angeboten dagegen unzufrieden und beschwerte sich darüber lautstark. Auch mit Griechenland und Slowenien steht eine Einigung noch aus.
Bundesregierung kündigt Maßnahmenbündel gegen zunehmenden Fachkräftemangel an
Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenbündel gegen den zunehmenden Fachkräftemangel angekündigt. Man werde im Herbst dazu Entscheidungen treffen, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Dienstag am Rande der Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg. „Wir werden eine umfassende Fachkräftestrategie auf den Weg bringen.“ Die Weiterbildung solle fortentwickelt und „mit einem modernen Einwanderungsrecht“ solle für „ergänzende Fachkräfteeinwanderung“ gesorgt werden, sagte der SPD-Politiker. Das Thema Ausbildung werde man mit einer Ausbildungsgarantie angehen.
In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich die Ampel-Parteien auf eine solche Garantie verständigt. Die Gewerkschaften fordern das Instrument schon lange und verweisen auf Österreich. Dort wird allen Jugendlichen, die keine Lehrstelle in einem Betrieb finden, ein außerbetrieblicher Ausbildungsplatz zugesichert.
„Es gibt Unternehmen, die suchen händeringend Arbeitskräfte“, sagte Heil. Die Aufgabe werde in den nächsten Jahren nicht kleiner. Es sei wichtig, sich mit Wirtschaft und Gewerkschaften dieser Aufgabe zuzuwenden.
„Wir haben uns das Ziel gesetzt, in diesem Jahr wirklich die ersten Pflöcke einzuschlagen, damit wir auch in die Umsetzung gehen können“, sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Sie verwies auf die Ausbildungszahlen und zeigte sich besorgt, dass diese auf dem Corona-Niveau stagnieren könnten. Die FDP-Politikerin warb für die Berufsausbildung und sprach davon, dieser „wieder den Glanz zu verleihen, den sie verdient“: Berufliche und akademische Bildung seien unterschiedlich, aber gleichwertig und würden beide gebraucht.